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Kartause von Champmol

Wie geht man mit einem Ensemble von Kunstwerken um, das weitestgehend zerstört ist, dessen erhaltene Reste aber noch dermaßen eindrucksvoll sind, das man mit Recht sagen kann, sie gehörten zu den bedeutendsten des späten Mittelalters? In ihrer gewichtigen, grundlegenden Untersuchung zur Kartause von Champmol weist Renate Prochno den Weg: Sie resümiert gewissenhaft die bisher erschienene Forschungsliteratur, überprüft nochmals alle erhaltene Bild- und Schriftzeugnisse, transkribiert sogar einige Quellen neu und bringt sie vollständig zum Abdruck. Schließlich stellt sie die Kunstwerke selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung, die erhaltenen und auch die nur durch schriftliche Belege oder auch durch spätere Kopien rekonstruierbaren. Auf dieser Grundlage zeichnet sie ein eindrucksvolles Panorama des als Grablege der burgundischen Herzöge dienenden, in der Nähe von Dijon gelegenen Kartäuserklosters von Champmol. Von bleibendem Wert ist dabei nicht zuletzt die informationsgesättigte Grundrissskitze der Klosterkirche, die einen präzisen Einblick in ihre Innendisposition erlaubt.

Zu den bedeutendsten Resten der Ausstattung gehört das Portal der Kirche, 1385 von Jean de Marville begonnen und später vom wohl besten Bildhauer des Spätmittelalters, Claus Sluter, fortgeführt. Um eine Marienfigur mit Kind sind hier knieend der Stifter der Kartause, der burgundische Herzog Philipp der Kühne nebst seiner Gattin, Margarete von Flandern, sowie zwei Heilige platziert. Das seit Jahrhunderten etablierte Thema des Figurenportals einer Kirche erhält durch die Darstellung von zwei Individuen der Zeitgeschichte einen bahnbrechend neuen Akzent. Ganz konsequent hat dann auch Heinrich Klotz in einem seiner letzten Bücher die Renaissance mit diesem Portal beginnen lassen (Der Stil des Neuen. Die europäische Renaissance, Stuttgart 1997). Von Claus Sluter stammt auch das Grabmal des Gründers der Kartause, sein Neffe, Claus de Werve, hat es vollendet. Zusammen haben beide den Brunnen, der ursprünglich in der Mitte des großen Kreuzgangs stand, gefertigt. Von ihm hat sich der Sockel mit seinen berühmten Prophetenfiguren und Engeln erhalten sowie im Museum von Dijon das Fragment einer Christusfigur. Der Sockel ist jüngst restauriert worden, eindrucksvoll sichtbar wird jetzt die Vergoldung der Figuren, für die Jean Malouel verantwortlich zeichnete. Hinter einer Monographie über Champmol muss sich also demnach auch eine Beschäftigung mit den Künstlern verstecken – nach 70 Jahren liegt mit dem Buch von Renate Prochno demnach erstmals wieder eine deutschsprachige Untersuchung zu den großen Meistern der burgundischen Steinmetzkunst des Spätmittelalters vor.

Aber die Beschäftigung mit Kunstwerken abseits der etwas ausgetretenen Pfade einer Künstlermonographie hat den bestechenden Vorteil, ganz konsequent weitergehende Fragestellungen erörtern zu können. Selbstverständlich werden die wichtigsten zeitgenössischen Vergleichsbeispiele diskutiert, ungleich wichtiger aber sind die Fragen nach dem Zweck der Stiftung eines Klosters sowie des Totengedächtnisses und dessen liturgischer Ausgestaltung, darüber hinaus die Analyse der Ausstattung des Klosters. Die Arbeit kann damit als ein Beispiel für viele weitere Untersuchungen dieser Art dienen, die ebenfalls nicht mehr lediglich das Kunstwerk selbst in den Blick nehmen, sondern auch seine Funktionen und den historischen Kontext. Sie wird damit zum Abbild einer zeitgemäßen Kunstgeschichte. Den Lesern des KunstbuchAnzeigers sei die Lektüre nachdrücklich empfohlen, nicht zuletzt, um sich auf eine Reise nach Burgund entsprechend vorzubereiten. Denn der Besuch der Kartause von Champmol und des Museums von Dijon lohnt in jedem Falle.
Alexander Markschies
Prochno, Renate: Die Kartause von Champmol. Grablege der burgundischen Herzöge 1364-1477. 476 S. 24 cm. Gb Akademie-Verlag, Berlin 2002. EUR 99,80
ISBN 3-05-003595-1
 
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