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Ilja Repin und seine Malerfreunde

Kennern russischer Literatur dürfte der große realistische Maler Ilja Repin (1844-1930) bekannt sein, malte er doch 1891, schon merklich durch den Impressionismus beeinflußt, Leo Tolstoi im Garten ein Buch lesend. Repin schuf viele Porträts, so auch vom Schriftsteller Maxim Gorki, oder von seinen Malerfreunden. Berühmt machten ihn aber die großen politischen Bilder seines Spätwerks, Szenen des russischen Alltagslebens und der russischen Gesellschaft und die Historienbilder. Sie fügen sich zu einem facettenreichen Epochengemälde zwischen Tradition und Aufbruch in eine neue Zeit.
Nach langer Abstinenz auf deutscher Bühne, erschien 1989 von Gerhard Hallmann ein Band "Russische Realisten". Diesem Pfad, Repin im Kreise seiner Malerfreunde und Vorgänger zu zeigen, folgte auch die Repin Ausstellung im von der Heydt-Museum Wuppertal 2005, dokumentiert in einem von Sabine Fehlemann herausgegebenen und von Nicole Hartje bearbeiteten Katalog. Die Leihgaben stammen überwiegend aus der berühmten Tretjakow-Galerie. Sie besitzt die reichste Sammlung russischer Kunst des 19. Jahrhunderts, ein Verdienst ihres Gründers Pawel Tretjakow, der diese, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommende Kunst russischer Realisten großzügig materiell und ideell förderte, umgekehrt, Repin war mit Tretjakow befreundet und hat ihn 1901, auch impressionistisch inspiriert, porträtiert. Ausstellung und Buch, das ist nicht neu, machen, wie zuvor die Ausstellung das Saarland-Museum 2003, den Versuch, einen Repin zu zeigen, der viele Einflüsse aufnahm und sich nicht auf einen Realisten reduzieren läßt, als den man ihn so gerne sieht. Gezeigt werden von Repin 52 Gemälde, darunter Hauptwerke wie "Die Saproscher Kosaken", die beiden Ölstudien zu "Iwan dem Schrecklichen" und den ganz berühmten "Wolgatreidlern", ergänzt um 29 Zeichnungen, die zeigen, wie sorgfältig Repin die Ausführung in Öl vorbereitet hat.

Die Ausstellung beschränkt sich auf die Zeit von 1867 bis 1917, einer Zeit ungeheuren sozialen Wandels mit Aufhebung von Leibeigenschaft und beginnender Industrialisierung und den ersten Umsturzversuchen revolutionärer Gruppen. Der erste Teil des Katalogs gilt Textbeiträgen. Sehr anschaulich und klar führt der Beitrag von Beate Fischer in die innere Entwicklung des Russischen Reiches zwischen 1855 und 1905 ein, ohne dessen Kenntnis das soziale Element in Repins Malerei nicht verständlich wird. Mit dessen Biographie beschäftigt sich Galina Tschurak, von der man so manches unbekannte Detail erfährt. So haben Repin die Russen monopolisiert, ganz zu Unrecht. Repin wurde in der Ukraine geboren und erwarb in Kuokkala (Finnland), in der Karelischen Landenge ein Landhaus, das nach der Oktoberrevolution zu Finnland gehörte, dann aber von der Sowjetunion einverleibt wurde und umgehend in "Repino" umbenannt wurde. Dort, im Park zum Landhaus "Penaten", ist Repin auch begraben. Mit dem künstlerischen Kontext beschäftigt sich Ernst-Gerhard Güse, der einen vorzüglichen Einblick in die russische Landschaftsmalerei nach 1860 gibt, die zahlreiche westliche Einflüsse aus Paris und Rom aufnahm, so sprach die Oberschicht französisch. Interessant an diesem Beitrag, auch heute noch findet sich jener, damals so zentrale Gegensatz zwischen Westlern und Slawophilen. Besonders krass zeigte sich der – nimmt man Paris zum Maßstab – Rückstand in der gesellschaftlichen Anerkennung des Künstlerberufs, der viele Künstler nach Paris ziehen ließ. Doch beim Exil blieb es nicht, vielmehr begannen einige von ihnen gegen die allgemeine Reglementierung der Künste durch ständische Schranken aufzubegehren und forderten, sieht man auf die theoretischen Vorbereiter Baumgarten und Kant, mit 150jähriger Verspätung eine Autonomie der Künste. Die Beiträglerin Olga Sugrobova-Roth überzeugt zu diesem Aspekt mit ihrer Darstellung der Künstlergeneration von Repin, die sie als Geschichte einer künstlerischen Emanzipation anlegt. Zu dieser trugen nicht unerheblich Förderer wie Tretjakow, aber auch der Sammler und Kunsthistoriker Ilja Silberstein bei, dessen Wirken, im Westen völlig unbekannt, Alla Lukanowa vorstellt. Sehr informativ auch der Text von Ada Raev, die uns "Westlern" auch Neues zu sagen hat. Das Genre Porträt nehme quantitativ und qualitativ in der russischen Kunst des 19. Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein. Repin schuf hier Großes, porträtierte den gesamten Kosmos gesellschaftlicher Stratifizierung in psychologisch eindringlicher Manier.

Natürlich, Originale sehen ist einzigartig, wer es nicht konnte, die Qualität der Reproduktionen des zweiten und dritten Teils, zunächst die Gemälde Repins und dann die seiner Künstlerkollegen, ist gelungen. Auf dem neuesten Stand der technischen Wiedergabe sind auch Farbnuancen sehr gut erkennbar, die Bilderläuterungen nicht zu umfangreich, auf Wesentliches konzentriert. Dem gleichen Schema folgt die Abteilung der Vorstellung der Gemälde von Repins Künstlerkollegen, zusätzlich ergänzt um Kurzbiographien. Daran schließt sich der Katalog der Zeichnungen Repins an.

Zum guten Ende, ein tabellarischer Lebenslauf und viele schöne Fotografien und Zitate lassen diese Zeit lebendig werden. Diesen Abschnitt gestaltete Nicole Hartje unter Mitarbeit von Elina Knorpp. Wer sich noch ein wenig mit Repin und seiner Zeit beschäftigen möchte, dem hilft das Literaturverzeichnis weiter.

Immer wieder schön, sorgfältig gemachte Bücher. Das ist auch hier der Fall. Es kommt aber noch besser und neu. Ada Raev stellt ihren Beitrag unter ein Zitat des großen, aber kaum bekannten Schriftstellers Wassili Rosanow, er, ein großer Aphoristiker, ist noch genauso zu entdecken wie die große russische Kunst des 19. Jahrhunderts. Wer kennt schon Wassili Maximowitsch Maximow oder Wassili Iwanowitsch Surikow oder Repins Bild "Iwan der Schreckliche", eine surreal anmutende Szene. Gut wäre es eine zweite Etappe Repin und Co. einzule-gen und seine späteren Bilder, die deutliche Bezüge zu Kubin oder Ensor aufweisen, ebenso zu zeigen, wie die seiner Kollegen. Repin entzog sich, angesichts "der Verfinsterung der Geschichte" durch Stalin, dessen Bitte nach Heimkehr ins "Arbeiter- und Bauernparadies". Politisch war er jedenfalls Realist.


Sigrid Gaisreiter
Ilja Repin und seine Freunde. Russland vor der Revolution. Hrsg.: Von der Heydt-Museum, Wuppertal. 2005. 224 S., 115 fb. und 86 sw. Abb. 24 x 32 cm. Gb EUR 48,-
ISBN 3-938025-40-9
 
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