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Rosa Schapire und die Expressionisten

Rosa Schapire hatte innerhalb der „Brücke“-Forschung immer einen Platz als Monographin der Schmidt-Rottluff-Graphik und als Empfängerin der zahlenmäßig meisten Künstler-Postkarten der „Brücke“-Maler. Seit Gerhard Wieteks monographischem Aufsatz von 1964 („dabei hat er sie gar nicht gekannt,“ resümierte Schmidt-Rottluff Wietek gegenüber anerkennend-staunend) war sie, die 1954 bei einem Besuch in der Londoner Tate starb, zumindest geistig in die Stadt ihrer längsten und wohl auch folgenreichsten Wìrksamkeit, nach Hamburg zurückgekehrt. Ganz vergessen war sie also nicht. Aber die freiberufliche Kunsthistorikerin und Übersetzerin hat den schwierigen Standort zwischen allen Institutionen; den Spagat als Kunstvermittlerin, als Sprachrohr und Mäzenin des „Frauenbundes für Kunst“ auftretend, aus Leidenschaft im Kaiserreich für den frühen Expressionismus eintretend; als stellenlose emigrierte Jüdin in England für deutsche Kunst werbend, so perfekt gemeistert, dass darüber ihr privates und öffentliches Schaffen mit dem Mantel des Ungewissen umhüllt worden waren. Das private Leben scheint zu allen späteren Zeiten dieses Lebens, das in Brody im damals österreichischen Galizien in einem wohlhabenden Elternhaus begann, ein von finanziell bemessener Disziplin geprägtes gewesen zu sein, das öffentliche begann sie als Besucherin der Hamburger Privatgalerien des Jahres 1903 (Ulrich Luckhardt berichtet darüber). Das Entdecken und das Private, das von keiner Institution getragene kunsthistorische Tun blieben lebenslang ihr Feld (Maike Bruhns).

Sie war eine emanzipierte Frau, deren erste Veröffentlichung „Ein Wort zur Frauenemanzipation“ in den „Sozialistischen Monatsheften“ 1897 war und die mit eben dieser emanzipatorischen Sicherheit auf den Titel eines Fräuleins lebenslang Wert legte. Ihr erster großer Wurf war die erste Publikation über Emil Nolde überhaupt, die im Jahr 1908 in der Schleswig-Holsteinischen Rundschau erschien. Die in Heidelberg promovierte junge Kunstwissenschaftlerin hatte damit einen kunsthistorischen Einstand, der sich nur als Glücksgriff oder als avantgardistische Entdeckertat werten lässt. Er war letzteres, Ausdruck bewusster und umfassender Sondierung unter den künstlerischen Kräften im Nordwesten, und die Schapire ließ ihn verfallen über persönlicher Meinungsverschiedenheit. Hier scheint einmal so etwas wie die subjektive Seite einer ansonsten stark objektivierten Sicht auf Kunst und Künstler auf. Sie wandte sich statt Noldes dem jüngeren „Brücke“-Mitglied Schmidt-Rottluff zu, eine Verbindung, die beide, den Künstler und „seine“ Kunsthistorikerin, lebenslang begleitete. Ihre Wohnung wurde zum Schrein für Schmidt-Rottluff, ausgestattet mit dessen Möbeln und Bildern. Als solcher hat Samuel Beckett sie während seines Aufenthaltes in Hamburg erlebt. Das verbindende Element, die Künstlerpostkarten (die Korrespondenz wurde in gegenseitiger Absprache vernichtet), summiert Gerd Presler.
Leonie Beiersdorf, Volontärin am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, hat den Werdegang dieser außergewöhnlichen Frau zum Gegenstand ihrer Recherche gemacht (vor allem auch in England) und zum Feld der Suche nach hanseatischen Kunstvernetzungen: Das fängt bei den Voraussetzungen der Schapire-Forschung (beschrieben von Birgit Ahrens) und der Intention des „Frauenbundes“ (Shulamit Behr) an, geht über ihre Verbindungen zu den Hamburger Museumsdirektoren Max Sauerlandt (Rüdiger Joppien) und Gustav Pauli (Christian Ring) und endet im Exil. Die großartige Schenkungspolitik der Schapire beschreibt, auf England bezogen, Sean Rainbird, der konstatieren muss, dass das dortige öffentliche Interesse an deutschem Expressionismus zu einer Geringschätzung und zum Teil sogar zur Zurückweisung der Schapire-Schenkungen an das British Museum und die Tate geführt hat! Die Rekonstruktion der Rettung ihrer Sammlung (Beiersdorf) gehört zu den wirklich neuen Aspekten der Schapire-Forschung. Die Zentralgestalt Schmidt-Rottluff scheint in Christian Weikops Beitrag über „arborealen Expressionismus“, also über die Bedeutung des Holzes, in dessen Werk auf.


Leider verfügt das Buch über kein Personen- und Sachregister, was angesichts des dichten Beziehungsgeflechtes an Personen, Kunstwerken und Ereignissen besonders schmerzlich spürbar wird. So vermag der Rezensent nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob das satirische Vexierbild, das der Lichtwark-Schüler Hans Leip in seiner Roman-Autobiographie „Aber die Liebe“ Rosa Schapire widmet, nicht doch an einer Stelle des so faktenreichen Buches erwähnt wird. Ob der Kissenentwurf Schmidt-Rottluffs von 1909 (S. 222) seine Drehung vom Quer- zum Hochformat berechtigten neuen Erkenntnissen verdankt, das allerdings müssten die Autoren mit dem Doyen der Schmidt-Rottluff-Forschung, Gerhard Wietek, erörtern, ohne den es wohl auch keine Rosa-Schapire-Forschung gäbe.
15.2.2010
Jörg Deuter
Rosa. Eigenartig grün. Rosa Schapire und die Expressionisten. Text v. Ahrens, Birgit /Behr, Shulamith/Beiersdorf, Leonie /Bruhns, Maike /Joppien, Rüdiger /Luckhardt, Ulrich /Presler, Gerd /Rainbird, Sean/Ring, Christian /Schapire, Rosa /Weikop, Christian /Hrsg. v. Schulze, Sabine. 344S., 146 Abb., davon 83 fb. 24,5 x 17,2 cm. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009. Gb EUR 35,00
ISBN 978-3-7757-2428-9
 
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