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Skulpturenausstellung im Garten der Villa Schöningen in Potsdam

Ein Ausstellungskatalog zur ersten Skulpturenausstellung im Garten der 2009 von Angela Merkel eingeweihten Villa Schöningen in Potsdam, wo zwischen Mai 2010 und März 2011 dreizehn Künstler aus Deutschland, Österreich, Dänemark und Großbritannien augewählte Werke zeigten. Vorwort von Max Hollein, Text zu den von Jürgen Littkemann fotografierten Objekten von Marc Fischer.

Im Garten mit einem Kaninchen
Marc Fischer, unser Ausstellungsführer, liegt träumend im Maigras des Skulpturengartens. Wir wecken ihn freundlich-leise. Ob er, alleine, sich einer Führung nicht gewachsen fühlt? Denn wenig später begleitet ihn und uns ein Kaninchen, 723 Jahre alt. Und wenn er dann noch – aber das wissen wir erst später - mit dem Kaninchen und zwei oder drei nicht anwesenden Künstlern Zwiegespräche über ihre hier gezeigten Skulpturen führt, dann sind wir – Alice im Wunderland war Vorbild – mitten in einem Ausstellungsführer, dessen Text die Realität ebenso phantasievoll-verfremdend ergänzt wie die in diesem Garten der Villa Schöningen in Potsdam ausgestellten Skulpturen. Verzaubert(e) uns Alice mit ihren Kaninchen-Erlebnissen, so begleitet uns hier ein Sprachzauberer an schmalen historisch-philosophischen Erkenntnisfäden entlang durch einen Kunst-Spielplatz amorpher Formen und verfremdeter Gegenstände und lädt uns zu Assoziationen und Tagträumen ein: die hier aufgestellten, bunt bemalten Kanonen (Uwe Henneken) – schießen sie wirklich nicht mehr, konkretisiert sich hier der Künstlertraum vom endlichen Scheitern aller Gewalt? Eine leicht verfremdete Bunker-Dose (Manfred Pernice) – erinnert sie nicht an den noch erhaltenen kleinen Beton-Weltkriegsprivatbunker eines Wannsee-Villenvorgartens?

Bei einer katalanischen Krippenfigur die zu Jesu Geburt eine große Wurst scheißt (Chris Ofili) sehen wir die Ausscheidung auch des Geborenwerdens als Provokation formuliert und nur noch wenig überraschen kann uns jetzt, dass ein Früchtegarten verfremdeter Früchte (Tal R) zu einer ins Leere führenden Treppe (Katja Strunz) führt. Mit der Assoziation „Relativierung jedweden Aufstiegs“ ist unser Ausstellungsführer sehr zufrieden, wir aber unzufrieden damit, dass ihm kein Kommentar zu einem pinkfarbenen Pflug (Anselm Reyle) einfällt. Seine Erklärung einer ihm vom produzierenden Künstler erklärten, nach mathematischen Berechnungen geformten pinkfarbenen Plastik (Maix Mayer; das berechnete künstlerische Ideal, die formierte Utopie) lässt uns aufhorchen, denn hier würden sich all unsere Assoziationen als nutzlos erweisen. Wir betrachten unseren Ausstellungsführer fortan als ausgewiesenen Kenner modernster Kunst, was ihn uns zwar sympathischer macht aber auch zum Widerspruch reizt: bei zwei Stahlskulpturen (Thomas Kiesewetter) zitiert er De Kooning, wir aber finden hier nur die doppeldeutige Wirkung von versöhnender Bedrohung und Aggressivität und dann ein, es war nicht fair es zu vergessen, sehr verschrecktes Kaninchen vor einem unernst geformten Bronzefreak mit Cowboyhut der einen unernst geformten Bronzefreak mit erigiertem Penis erschießt (Jonathan Meese; Verbrechen als Theater-Spiel, Künstler-Theater, die Herrschaft der Kunst über das Verbrechen ?). Die friedlich um einen Baum tanzenden großen Geister-Skulpturen (Thomas Schütte; atavististisch-künstlerischer Versuch, Geister zu bannen ?) beruhigen unser Kaninchen nicht, das seinen Lauf vor der in der Mitte stacheligen, beidarmig abgerundeten Figur „Ein Körper, zwei Seelen“ (Bruno Gironcoli; Symbiose, die aus einem Stachel erwächst ?) beschleunigt und hinter einem an der Villenwand lehnenden bronzenen Wischmopp mit Bürste (Stella Hamberg; die Illusion „tabula rasa“ machen zu können ?) aus diesem Wundergartenland verschwindet.

Ein unerwartet erfrischend-begeisternder, intelligent-phantasiereicher Text in einem brillant fotografierten Buch, auch unabgehoben-theorieloser Kurz-Führer zu moderner Kunst, Text und Objekte Plädoyer für den Gebrauch von Phantasie und Verstand und deswegen fast unbezahlbar.
„Es ist immer gut, ein Kaninchen dabei zu haben“ (S.18). Wir hoffen, es bei der nächsten Ausstellung „Spiel im Garten“ wiederzufinden (ab 12. Juni 2011, Kurator Max Hollein und Erich Engler vom Städel-Museum, Frankfurt/M.).

10.06.2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Skulpturengarten. Villa Schöningen. Ausstellungskatalog, Hrsg.: Mathias Döpfner. Text: Marc Fischer, Max Hollein. Dtsch/engl. 60 S., 21 meist fab. Abb. 28 x 21 cm, Gb. Snoeck Verlag, Köln 2010. EUR 24,80

ISBN 978-3-940953-58-2
 
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