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Kunst im Kreis der „Weißen Rose“

Ob Sophie Scholl die legendäre Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gesehen hat, konnte bis heute nicht endgültig geklärt werden. Aber die Tatsache, dass die moderne Kunst im Kreis der „Weißen Rose“ eine bedeutende Rolle gespielt hat, ist spätestens jetzt nicht mehr zu übersehen, seit die Briefe Christoph Probsts und Alexander Schmorells vollständig vorliegen. Dem Mitstreiter der Geschwister Scholl, Christoph Probst, wurde die Beziehung zur avantgardistischen Kunst geradezu in die Wiege gelegt. Er wuchs 1924 bis 28 im so genannten „Russenhaus“ in Murnau auf, das seine Mutter gemietet hatte, der Name der Vermieterin war Gabriele Münter. Mag dies ein eher zufälliger Zugang zur Kunst des „Blauen Reiters“ gewesen sein, so nimmt der Leser von Probsts Briefen nun staunend zur Kenntnis, dass es Christophs Vater Dr. Hermann Probst war, der die Überführung der Särge der gefallenen Künstler Franz Marc und August Macke im Jahre 1917 von den Schlachtfeldern Frankreichs noch Deutschland begleitete, um so vor allem der befreundeten Maria Marc zu helfen. Ein Brief Paul Klees berichtet anrührend darüber.

Überhaupt hat dieser Privatgelehrte und Indologe Hermann Probst ein so festes Netz von Künstlerkontakten geknüpft, dass es lohnend wäre, diese einmal separat zu untersuchen: Seinen Sohn Christl und dessen Schwester Angelika ließ er von Emil Nolde porträtieren und das Bildnis des Widerstandskämpfers hat alle Haussuchungen und allen Vandalismus der Gestapo überstanden. Bedenkt man zudem, dass Christoph Probsts Frau Herta Siebler-Probst (geb. 1914) aus der Familie Dohrn stammt und dass es ihr Großvater Anton Dohrn (1840 – 1909) war, der jene kunsthistorisch epochalen Fresken im Meeresbiologischen Forschungszentrum in Neapel bei dem befreundeten Hans von Marées in Auftrag gegeben hatte, dann rückt der Kontakt zur Moderne in dieser Gesamt-Familie in eine Dimension, die man nur höchst spektakulär nennen kann. War doch Herta Siebler-Probsts Vater Wolf Dohrn (1878 – 1914) als Geschäftsführer des Deutschen Werkbundes ein Vorkämpfer aller Sparten freier Lebens- und moderner Kunstgestaltung in der Musterstadt Hellerau. Man ist geneigt zu sagen: Die geistige Weite und der Zugang zu freier künstlerischer Auseinandersetzung in der jungen Familie Probst müssen unbegrenzt gewesen.

Dennoch spielt die bildende Kunst für den anderen in diesem Briefband versammelten Widerstandskämpfer eine wesentlich größere, nämlich die existenzielle Rolle. Alexander Schmorell war derjenige Verschworene der „Weißen Rose“, den man als Künstlernatur und wohl zu Recht auch als werdenden Bildhauer bezeichnen kann: auch wenn er wie alle männlichen Mitglieder der Kerngruppe Medizin studierte, was wohl vor allem dem Vater, der Arzt war, zu Liebe geschah. Schmorells Selbstverständnis als Russe (er war der Sohn einer russischen Mutter) und sein Ringen um künstlerische Fragen lassen ihn im „Dritten Reich“ von vorn herein als besonders wenig systemkonforme Randfigur erscheinen. Diese Stellung wird durch die hier erstmals vorgelegten Briefe noch verstärkt, zumal diejenigen an die von ihm geliebte Schwester seines Freundes Christoph Probst, Angelika. Gerade in ihnen spielen die künstlerischen Erlebnisse eine zentrale Rolle, werden zum Verständigungsmittel über gemeinsame Vorlieben, wie es gleichrangig auch von der Musik und bei anderen Mitgliedern des Kreises von der Philosophie gilt. Schmorell korrespondiert über Rodin, dessen Kunst für ihn zum Auslöser wird, selbst zu schaffen. Er erwirbt „unter dem Ladentisch“ Originalgraphik von Lovis Corinth und Alfred Kubin, den er besonders schätzt und die aus dem Nachlass Klabunds stammt, und beobachtet den Münchner Bildhauer Toni Stadler heimlich beim Handeln mit Kunstgegenständen. Als Angelika Probst ihm eine Kwannon-Skulptur Stadlers schenkt, ist er außer sich vor Freude: Diese Schutzgottheit des Hinduismus wird sein Talisman in einem Raum der Stille und Meditation werden. Überliefert ist sie nicht.

Wir erfahren von Schmorells Ringen um sein künstlerisches Werden, das ihn in die Kunstschule „Die Form“ des Münchner Malers Heinrich König führt, wo er die Kunstschülerin und Gymnastin Lilo Fürst-Ramdohr (geb. 1913) kennenlernt. Beide engagieren privat ein Modell, und dieser Münchner Stadtstreicher scheint es gewesen zu sein, der später die Wohnung Lilo Fürst-Ramdohrs als einen Aufenthaltsort Schmorells an die Gestapo verraten hat. Die dramatische, von mehreren tragischen Fehlschlägen gekennzeichnete Flucht Schmorells nach Ergreifung und Hinrichtung seiner Freunde Hans, Sophie und Christoph wurde durch einen von Lilo Ramdohr mit Hilfe einer ihr bekannten Buchbinderin gefälschten Pass erst möglich. Hier erwies sich das kunsthandwerkliche Können innerhalb der Gruppe auch für die Überlebensstrategie als hilfreich… Jedoch ließ sich Schmorells Versuch, sich nach Innsbruck in ein Gefangenenlager durchzuschlagen und dort als russischer Kriegsgefangener unterzutauchen nicht verwirklichen.

Der Briefband entrollt erstmals ein dichtes Bild von Christoph Probst und Alexander Schmorell, der sich selbst „Schurik“ nannte. Er tritt damit an die Seite der Briefe von Hans und Sophie Scholl, die Inge Jens herausgegeben hat und an den Briefwechsel Sophie Scholls mit ihrem Freund Fritz Hartnagel, den Thomas Hartnagel edierte. Auch die Briefe des Mit-Verschworenen Willy Graf gingen ihm voran. Christiane Moll hat eine 280seitige Monographie über Christoph Probst und Alexander Schmorell vorangestellt, die auch noch offene Fragen benennt, aber gleichwohl als beste Darstellung der beiden von Kindheit an miteinander befreundeten Verschwörer bezeichnet werden kann.
Wer sich aus sehr persönlicher Sicht über das künstlerische Schaffen Schmorells informieren will, dem sei auch Lilo Fürst-Ramdohrs Buch „Freundschaften in der Weißen Rose“ (München 1995) empfohlen, das allerdings nur noch antiquarisch erhältlich ist.

23.08.2011
Jörg Deuter
Alexander Schmorell, Christoph Probst. Gesammelte Briefe. Herausgegeben von Moll, Christiane. 944 S., 4 Abb., 24 x 16 cm, Gb., Lukas Verlag, Berlin 2011. EUR 34,80
ISBN 978-3-86732-065-8   [Lukas]
 
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