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Wozu Kunst? Die Fage nach ihrer Funktion

Je unĂĽbersichtlicher unsere Gegenwart wird, desto mehr wollen wir wissen: wozu Kunst?
Welchen Selbstzweck hat das Medium "Kunst" in einer Zeit, die selbst durch zunehmende Ästhetisierung geprägt wird? Seit Jahrhunderten versucht die Kunstphilosophie zu bestimmen, wie die Kunst in die Welt und die Welt zum Betrachter kommt. Die Antwort ist bislang negativ geblieben: Kunst ist nicht Leben – aber ein Teil in unserem Leben. Mit der Paradoxie, dass die Kunst sowohl interne (ästhetische) als auch zunehmend externe (kognitive, soziale, kommunikative) Funktionen aufweist, beschäftigt sich der aktuelle Sammelband in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Äußerst verkürzt gesagt: alle Texte münden in ein mehr oder weniger direkt formuliertes und durchaus traditionelles Loblied auf die klassische Autonomie der Kunst.
Implizit kann der Leser aber auch den Einfluß der Zeit auf die Gegenwart erkennen: Die Entfaltung meines Selbst ermöglicht mir in und durch die Auseinandersetzung mit der von mir betrachteten Kunst grundlegende ästhetische Sichten auf das, was meine Welt (der Kunst) ausmacht. Problem heute ist jedoch, dass die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst längst durchlässig geworden sind – eine Tatsache, die leider nicht ausführlicher thematisiert wird. Auch wenn, wie Bernd Kleimann so schön am Rande formuliert, "kein Fan des sonntagabendlichen Tatorts wohl bestreiten (kann), dass es gelegentlich reizvoll ist, sich den im Modus ästhetischer Distanz dargebotenen Schattenseiten des Daseins auszusetzen" (S. 85) – gerade die (Hoch-)Kunst setzt uns in ein Verhältnis zu unserem Selbst, dass uns selbst neu erfahren läßt. Kunst ermöglicht, so der unausgesprochene Tenor dieses Bandes, eine Art spielerische Distanz, eine Fremderfahrung unseres Selbst. Oder formulieren wir es einmal ganz praktisch: schon das Formulieren dieser Rezension (den der Autor selbstkritisch als einen Akt gewaltsamer Textverstümmelung bewertet), kann idealerweise eine Form annehmen, die den Leser zum Mitdenken und zur eigenen Selbstentfaltung animieren soll.
Ob sich die Autoren des Sammelbandes allerdings dieser dialogischen Dimension ihres eigenen Tuns (der akademischen Kunstphilosophie) immer im Klaren waren, scheint zweifelhaft. Kommunikation kommt leider nur als (toter) Begriff aber nicht als aktuelles Thema in der Gegenwartskunst vor. Der vergleichsweise gut lesbare Text von Christian Thies (Kritik der Kunst, S. 194 - 210) wagt zum Glück auch einmal erfrischende Stellungnahmen zu Kunst und Politik, während der Großteil der Autorinnen und Autoren sich hingebungsvoll und zuweilen sehr kleinteilig mit Einzelaspekten beschäftigt, die nicht gerade durch ein Höchstmaß an anschlußfähigen Ideen gekennzeichnet sind. Beispielsweise wäre es einmal lohnend gewesen zu untersuchen, wie sich heute Künstlerinnen und Künstler auf dem Kunstmarkt als Markenprodukt präsentieren. Hier könnte man aus nächster Nähe (und nicht im akademischen Elfenbeinturm sitzend) verfolgen, wie "Selbstentfaltung in der Kunstentfaltung" (Franz Koppe, S. 134) systematisch auch aussehen kann und betrieben wird. Überhaupt fehlt vielen Autoren offensichtlich der Mut einmal – und sei es auch nur in wenigen Sätzen – etwa das Schillern eines Regenbogens oder die Kurven eines (meinetwegen auch gemalten) Frauenrückens zu beschreiben. Und außerdem: Dass ausgerechnet Martin Seel, einer der profiliertesten Kunstphilosophen der Gegenwart, nicht vertreten ist, schränkt den repräsentativen Anspruch des Bandes leider erheblich ein
15.2.2002
Michael Kröger
Wozu Kunst?. Die Frage nach ihrer Funktion. Hrsg. v. Kleimann, Bernd /SchmĂĽcker, Reinold. 2001. ca. 224 S. - 14,5 x 22 cm. Gb DEM 78,-
ISBN 3-534-15142-9
 
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