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Kunst durch Kredit

Die Schätze der Museen erzählen im Idealfall jeweils zwei Geschichten: eine über die Entstehung und den ursprünglichen Gebrauch der Artefakte und eine über den Weg des einzelnen Objekts in die jeweilige Sammlung.
Mit dieser zweiten Erzählebene und den damit einhergehenden zeitgeschichtlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten, zumeist vor dem Hintergrund der Verfolgung und Ausbeutung der europäischen Juden im ‚Dritten Reich’, beschäftigt sich seit knapp zwanzig Jahren die Provenienzforschung. Mit der Entwicklung und dem Anwachsen dieser Disziplin werden die Studien auf diesem Gebiet immer vielfältiger. Die Grauzonen zwischen Recht und Unrecht, die Verflechtungen von Handel, Banken, Museen und Politik werden fachkundig ausgeleuchtet, und die Leserinnen und Leser der Berichte kommen aus dem Staunen über Umfang, Komplexität und Allgegenwart des Themas nicht heraus.
Eine vorbildliche Fallstudie legt die Kunsthistorikerin und Provenienzforscherin Lynn Rother mit ihrer Dissertationsschrift „Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935“ vor, deren Erscheinen bereits ein breites Echo in den Feuilletons und bei den Leitungen der betroffenen Museen gefunden hat. Schließlich geht es um nicht weniger als rund 4.400 Werke, die auf Initiative des Wirtschaftsministers und Reichbankpräsidenten Hjalmar Schacht 1935 für die Staatlichen Museen Berlin erworben worden sind und deren Ankauf mit der Ausstellung „Drei Jahre Nationalsozialistische Museumsarbeit“ 1936 gefeiert wurde. Die Ausmaße der Erwerbungen waren ebenso einzigartig wie die Umstände der Transaktion: Da die Dresdner Bank verstaatlicht war und der Reichsbank unterstand, fand der Verkauf zwischen einer staatlichen Institution und den staatlichen Museen statt. Es war „der größte Kunstdeal während der Zeit des Nationalsozialismus“, wie Rother dokumentiert.
Eine Herausforderung ist nicht nur, den Umfang und die rechtlichen Rahmenbedingungen einzuordnen, sondern auch eine moralische und zeitgeschichtliche Einordnung dieser Transaktion. Denn bei den 1935 verkauften Werken handelte es sich weder um Stücke einer Kunstsammlung der Dresdner Bank, noch um eindeutig enteignete, abgepresste oder geraubte Kunstwerke, sondern um einen immensen Bestand, den die Bank vor allem aus verschiedenen Kreditgeschäften als Sicherheiten versammelt hatte. Zu den ehemaligen Eigentümern der Gemälde, Skulpturen und kunsthandwerklichen Preziosen gehörten verschuldete Großsammler, wie die zwischen 1927 und 1933 verstorbenen Albert Figdor, Marczell von Nemes und Hermine Feist, ebenso wie die Kunsthändlerin Annie Caspari, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurde.
Die Studie, die das enge Ineinandergreifen von staatlicher Kunstpolitik und nationalsozialistischer Staatsräson, wirtschaftspolitischen (Weltwirtschaftskrise) und rechtlichen Voraussetzungen exemplarisch vor Augen führt, belegt einmal mehr, dass – ebenso wie im leidigen Fall Gurlitt – weder Schlussstrich noch Pauschalverurteilung angemessen sind, sondern jeder einzelne Fall einer akribischen Rekonstruktion und jedes einzelne heute museale Objekt eines möglichst lückenlosen Lebenslaufs bedarf. Und auch wenn man als Leser meint, die Geschichte des Kunsthandels unter dem Nationalsozialismus schon in allen möglichen Facetten zu kennen, gibt es immer wieder Werkbiografien, die sprachlos machen. So wie die der ursprünglich Tizian zugeschriebenen Darstellung der nackten Danae aus der hoch überschuldeten Sammlung Nemes: In dem Deal zwischen der Dresdner Bank und den Museen der Reichshauptstadt rangierte das Gemälde mit 155.000 Reichsmark als eines der am höchst bewerteten und gelangte formal in den Bestand der Gemäldegalerie. Nachdem Zweifel an Zuschreibung und Zustand des Bildes laut geworden waren, kaufte es Joseph Goebbels für seine Privatsammlung – für 50.000 Reichsmark – den Staatlichen Museen ab. Lynn Rothers Studie über den ‚großen Kunstdeal’ von 1935 ist nicht der Abschluss einer Provenienzgeschichte, sondern der Auftakt zu zahllosen einzelnen, auf Grundlage dieser Arbeit noch zu schreibenden Werkbiografien.

18.01.2018
Rainer Stamm
Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935. Rother, Lynn. 505 S. 98 z. T. fb. Abb. 24 x 17 cm. Gb. De Gruyter Verlag, Berlin 2017. EUR 49,95.
ISBN 978-3-11-049452-5
 
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