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Hannes Meyers neue Bauhauslehre

Wenn der Staat Kulturpolitik macht (Berliner Schloß, Europahymne, Neue Wache, Deutsches Historisches Museum, Denkmäler und Geschichtspolitik von Kohl bis Merkel) dann haben wir es 1) mit Instrumentalisierung und 2) mit Banalisierung zu tun. Es gibt in Herbert Marcuses Buch „Der eindimensionale Mensch“ (1964) eine wunderbar angsteinflößende Passage, wie „Systeme“ durch Affirmation des Ewig-Gleichen jegliche in Kunst und Kultur angelegte Subversion gleichsam zu Tode streicheln. Nichts Anderes erleben wir mit dem sogenannten „Bauhaus-Jahr“, das 1) kein Mensch braucht und das ich 2) hiermit für beendet erkläre. Gleichwohl sei schnell noch auf „Hannes Meyers neue Bauhauslehre“ verwiesen – denn natürlich gibt es 1) unter den diesjährigen Publikationen interessante und wichtige und 2) solche, die Forschungslücken schließen.
Das dicke Buch ist der erweiterte Ergebnisband einer 2018 in Kassel durchgeführten Tagung: 33 Aufsätze, die die umfangreichen Umstrukturierungsmaßnahmen des zweiten Bauhaus-Direktors nach seinem Amtsantritt 1928 nachzeichnen. Nach der verspäteten Hinwendung vom Handwerk zur Technik unter Walter Gropius um 1923 waren jetzt zwei Veränderungen entscheidend: 1) die Einführung der Architekturklasse und 2) die ideologische Ausrichtung am Sozialismus. Unter Meyer wurde das Bauhaus politisch. Es meldete damit den bereits früher formulierten Anspruch gesellschaftlicher Wirksamkeit an, forcierte aber die im Industriethema angelegte Abkehr von den bürgerlichen Ansprüchen hin zu den Ansprüchen von Kleinbürgern und Arbeitern. „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ hieß der Slogan, dem fortan alles unterstellt sein sollte – und die 33 Aufsätze schauen sich detailliert an, wie Meyer dazu mit Hilfe der Kollegen die Pädagogik veränderte; welche Aufgaben die Studenten in den Kursen und Klassen zu bewerkstelligen hatten; mit welchen Partnern Meyer seine Visionen umsetzte (das Bauhaus-Hauptwerk dieser Phase ist das Schulungsheim des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin); wie all das nach Meyers Weggang vom Bauhaus 1930 (fristlos gekündigt!) Lebens- und Arbeitsstationen weiterwirkten.
Man hat über Meyer lange nichts Substantielles geforscht. Die letzten gewichtigen Bände erschienen in der späten DDR. Insofern war es Zeit, hier anzusetzen. Was unter Federführung des einstigen Direktors der Stiftung Bauhaus-Dessau Philipp Oswalt (wie Meyer: geschaßt!) entstanden ist, ist mehr als eine bloße Wiederaufnahme des verlorenen Fadens. Der Sammelband ist, allein schon durch seinen Facettenreichtum und den weiten Bogen den er von Dessau bis Mexiko (so der Untertitel) spannt: ein Standardwerk. Dass man differenziert und gnadenlos ehrlich vorging, jeder Verklärung abhold, zeigt beispielhaft der Beitrag über Fritz Ertl. Er war als Student am Bauhaus und zeichnete später Pläne für das Konzentrationslager Auschwitz. Ein Zufall?, könnte man fragen – oder in den „Eindimensionalen Mensch“ blicken, wo Marcuse (analog zu Adorno und Horkheimer) verdeutlicht, dass Auschwitz nicht jenseits der aufgeklärten Moderne anzusiedeln ist, sondern nur als deren Teil begriffen werden kann. Wie „Von Dessau nach Mexiko“ führt daher der Weg auch „Von Dessau nach Auschwitz“. Das ist bitter. Aber angesichts der diesjährigen Bauhaus-Weichspülerei erscheint diese Erkenntnis doch auch als erfreulicher Kontrapunkt.

03.04.2019
Christian Welzbacher
Hannes Meyers neue Bauhauslehre. Von Dessau bis Mexiko. Hrsg.: Oswalt, Philipp. Dtsch. 352 S. 150 Abb. 19 x 14 cm. Birkhäuser Verlag (de Gruyter), Basel 2019. EUR 29,95.
ISBN 978-3-0356-1724-5
 
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