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Stürmische Zeiten – Eine Künstlerehe in Briefen

Der Maler Hans Purrmann ist heute vor allem als einer der wichtigsten Vermittler zwischen der französischen Kunst vor 1914 insbesondere aus dem Umkreis von Henri Matisse bekannt. Für viele deutsche Künstlerinnen und Künstler, die sich vor dem Ersten Weltkrieg nach Paris aufmachten, um die ganz aktuelle Kunst, sozusagen die der Avantgarde, kennenzulernen, war er eine Anlaufstation. Die junge Württemberger Malerin Mathilde Vollmoeller hatte ihren Weg hingegen eigenständig an die private Académie Matisse gefunden, ehe sie den aus der Pfalz stammenden und etwas jüngeren Purrmann kennenlernte. Es ist noch nicht lange her, dass sie als eigenständige Künstlerin erst wiederentdeckt wurde, die nur noch als Purrmanns Frau bekannt war. Nachdem das Paar sich gefunden und dann auch geheiratet hatte, stellte Vollmoeller die Malerei erst einmal zurück, um Mutter dreier Kinder zu werden. Doch war es zwischen Purrmann und ihr immer klar, dass sie weiterhin künstlerisch tätig sein wollte. Sie hatte nur nicht mehr den Impetus, öffentlich in Erscheinung zu treten und übernahm immer mehr die Organisation des erfolgreichen Malerlebens ihres Mannes. Dennoch ist es eben keine so traurige Karriere wie zum Beispiel die von Charlotte Berend, die nach erfolgversprechenden Anfängen ganz von ihrem Mann Lovis Corinth dominiert wurde und als Künstlerin resignierte.
Da Purrmann und Vollmoeller zwar ein intensives Familienleben führten, aber doch immer wieder über längere Zeiträume getrennt waren, blieben Briefe in unterschiedlichen Lebensphasen ihr alltägliches Austauschmedium. Nach dem ersten Band ihrer Korrespondenz von 1909 bis 1914, der 2019 erschienen ist (Sehnsucht nach dem Anderen. Eine Künstlerehe in Briefen 1909–1914. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann, herausgegeben von Felix Billeter, Hans Purrmann Archiv München, und Maria Leitmeyer, Purrmann-Haus Speyer, Berlin / München: Deutscher Kunstverlag 2019, ISBN: 978-3-422-89286-6), komplettiert nun ein zweiter Band mit den Briefen von 1915 bis zum frühen Tod Mathilde Vollmoellers 1943 im Alter von 64 Jahren die Edition. Ging es im ersten Band um das Kennenlernen, den Weg in die Ehe bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, so beginnt der zweite Band mit der Kriegs- und Revolutionszeit, dem Großwerden der Kinder und führt dann durch die wechselhaften Jahre von Weimarer Republik und Diktatur. Waren im ersten Band neben den persönlichen Angelegenheiten noch die engen freundschaftlichen Kontakte zu Henri Matisse, auf dessen Spuren Purrmann wie Vollmoeller künstlerisch ihren eigenen Weg suchten und fanden, das vornehmliche Thema, so sind es im zweiten Band vor allem die freundschaftlichen Netzwerke mit Künstlern, Kunsthändlern und -kritikern, die sich in den Briefen widerspiegeln.
Purrmann hatte das zweifelhafte Glück, auf Grund einer angeborenen Muskelerkrankung kriegsuntauglich zu sein, so dass ihm die „Stahlbäder“ erspart blieben. Der Neurologe Hans-Michael Straßburg gibt in einem Anhang eine Diagnose dieser seltenen Krankheit, die Purrmann im Alter zunehmend eingeschränkt, ihm im Krieg aber erst einmal das Leben gerettet hat. Zwischen Württemberg, der Heimat seiner Frau, der Pfalz, seiner eigenen und dem neuen Lebensmittelpunk Berlin pendelnd begann sich das Familienleben einzuspielen. So manch Kurioses tritt zu Tage, dass zum Beispiel Purrmann in Berlin während der Revolutionswirren geistig vor allem mit der Einrichtung einer Familienbleibe und eines Ateliers beschäftigt war, wobei ihn besonders die Erwerbung eines gotischen Steinkopfes aus Frankreich intensiv beschäftigte, während auf den Straßen geschossen wurde. In den zwanziger und dreißiger Jahren pendelte Purrmann und immer wieder auch seine Familie zwischen Italien, wo er die Sujets seiner Bilder fand, und Deutschland. Die Verwaltung des Stipendiatenhauses Villa Romana in Florenz wurde ihm ein willkommenes Refugium vor der Barbarei in Nazideutschland. Die Briefe geben Einblicke in diese Zeitläufe und die sehr persönliche Sicht auf deren Entwicklungen.
Da beide Künstler nun ihren Stil gefunden hatten, geht es in ihrem Austausch weniger um künstlerische Fragen, als um die Pflege des Netzwerks der Freunde. Vielleicht wird man nun die Rezensionen von eng befreundeten Kritikern wie Karl Scheffler und Curt Glaser neu lesen müssen, denn wie kann es zu einer neutralen Beurteilung kommen, wenn man doch wirklich freundschaftlich vertraut ist. Die Briefe bieten also nicht nur einen Einblick in eine untergegangene großbürgerliche Welt – Mathilde Vollmoeller stammte aus einer Unternehmerfamilie – sondern in einen Kunstbetrieb, wie es ihn heute ebenfalls nicht mehr gibt. Die kenntnisreichen Einführungen und die Kommentierung der Briefe helfen dem Leser. Die angemessene Ausstattung mit Abbildungen nicht nur biographisch relevanter Fotos, sondern auch der Werke aus den jeweiligen Jahren machen aus dem Buch eine kleine Familienmonographie.

18.06.2021
Andreas Strobl
Stürmische Zeiten? Eine Künstlerehe in Briefen 1915-1943. Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann.Hrsg.: Billeter, Felix; Leitmeyer, Maria. Deutsch. 256 S. 50 fb. Abb. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2020. 21 x 14 cm.EUR 18,00.
ISBN 978-3-422-98242-0
 
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