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Mit Haut und Haaren

Auf knapp 160 Seiten schildert Marina Schneede unter dem Titel "Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst" ein zentrales Bildmotiv der bildenden Kunst seit den 60er Jahren. Viele Bücher und Ausstellungen widmeten sich in den letzten Jahren der Aufarbeitung dieses Themas, nun aber hat Marina Schneede gewissermaßen eine erste, noch nicht vollständige Fassung zur "Kunstgeschichte des Körpers" geliefert. Hierzu fragmentiert sie ihre Ausführungen wie den menschlichen Körper in fünf große Kapitel: Körper, Haut, Haar, Fleisch und Blut. Davon ausgehend strukturiert sie weiter in die Tiefe durch verschiedene Unterkapitel, denen sie jeweils Künstler zuordnet, und schlägt so kenntnisreich Einblicksschneisen in das facettenreiche Thema. Ihre Thesen stellt sie durch prägnante Texte vor, die insbesondere mit direkt zugeordneten Bildern der Kunstwerke Klarheit und Überzeugungskraft erlangen. Ein erstes Durchblättern dieses Buches lässt den Leser schockiert zurück: Selbstverstümmelungen, Häutungen, Brandmarkungen, Operationen, grauenhafte Körperzerstückelungen, fantastische Gestalten als siamesische "Viellinge". Augenfällig ist dabei eine gewisse Präferenz der Autorin für Künstler und insbesondere Künstlerinnen, die ihren eigenen Körper im "Selbstexperiment" benutzen. So vermisst man Kiki Smiths Körper-Kompositionen, Annegret Soltaus Vernähungen oder die durch Bild- sprich Gen-Manipulation ihrer Sinne beraubten, in völlige Einsamkeit gestoßenen Wesen von Aziz + Cucher. Auch interessiert die Autorin das Körperbild, das ihn zum Glamour-Fetisch macht oder zur modischen Gen-Puppe hochstylt, wie bei Jeff Koons oder Inez von Lamsweerde, offenbar weniger. Doch zeigt Marina Schneede neben dem "selbstexperimentellen Ansatz" auch viele Werke, die den Körper immer mehr als Fragment und Prothese benutzen. Schneede bemüht sich - mit gelegentlichen Rückblicken auf frühere Jahrhunderte - nicht nur, die Vielfalt der exemplarischen künstlerischen Einzelpositionen vorzustellen, sondern auch den chronologischen Wandel einzelner Entwicklungsstränge nachzuzeichnen. Allgemein konstatiert sie, dass der Körper in den 60er Jahren zum Werk, in den 70er Jahren zum Material für das Werk und seit den 80er Jahren zur gefährdeten Materie wird. Schließlich gipfelt diese Entwicklung um die Jahrhundertwende im virtuellen Körper, der seine Identität verloren hat, fremdartig und mutiert in zahllosen Manipulationen auftreten kann. Hinter Körperanalysen, Verschnürungen, Kulthandlungen, Haar-Reliquien, Blut und Exkrementen, hinter der Körperhaftigkeit der den Körper bildenden Materie stehen die Beschäftigung der Künstler mit Leben und Tod, der Vanitas. Naturwissenschaftliche Entwicklungen wie die Gentechnologie zeitigen Spurensicherung und Bilder von der Angst, die Identität oder gar die Einheit von Geist und Körper zu verlieren. Kritische Auseinandersetzung mit Folter, Islam, Anklagen, auch gegen den Krieg, eben Nachrichten von Schmerzen werden da laut.Außer einem Verzeichnis der Abbildungen, einem Nachweis für die Zitate der Künstler und einem Namensregister verfügt der Band über keinen wissenschaftlichen Apparat. So fehlt auch eine Bibliografie über die inzwischen doch sehr umfangreiche Reihe der Bücher und Ausstellungen, die sich dem Thema in den letzten Jahren widmeten.
11.2.2003
Annegret Winter
Schneede, Marina: Mit Haut und Haaren. Der Körper in der zeitgenössischen Kunst. 2002. 208 S., 75 sw. u. 45 fb. Abb. - 28 cm. Kt EUR[D] 29,90
ISBN 3-8321-5438-8
 
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