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Gigantensturz

Dass ein mythologisches Bildsujet instrumentalisiert wurde, um innerhalb seines historisch-politischen Kontexts über die Unverrückbarkeit bestimmter geordneter Verhältnisse zu reflektieren, ist die zentrale These von Andreas W. Vetters Dissertation "Gigantensturz-Darstellungen in der italienischen Kunst". Da er ausdrücklich jene Beispiele ausschließt, die von rein formal-ästhetischer Bedeutung sind, katalogisiert er gerade mal 44 Werke aus verschiedenen Kunstgattungen, unter denen die Malerei den größten Teil einnimmt. Mit diesen Gigantensturz-Darstellungen aber wählt er ein neuzeitliches Sujet aus, das bislang noch einer umfassenden Betrachtung harren musste, und unterzieht es einer ausgesprochen sauberen wissenschaftlichen Analyse. Über 170 schwarz-weiße Abbildungen sollen seine Ausführungen unterstützen, sind allerdings oftmals kaum zu entziffern.
Nach einem Überblick über die Entwicklung der Rezeption des Mythos in Mittelalter und Renaissance stehen drei fast gleichzeitig um 1532-34 in Oberitalien entstandene, großformatige Gigantensturz-Darstellungen im Zentrum der detaillierten Darlegung: diejenige im Palazzo Te in Mantua von Giulio Romano, die im Palazzo Doria in Genua von Perino del Vagas und jene im Palazzo Tinghi in Udine von Giovanni Antonio da Pordenone. Ihre ikonografische Vorbildlichkeit und die Auslegung des Mythos in den um die Mitte des 16. Jahrhunderts erschienenen mythografischen Handbüchern im Bezug auf die historische Situation ermöglichten nun die Verbreitung des Bildsujets, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verwendet wird.
In einem abschließenden Kapitel ordnet Vetter diese Gigantensturz-Darstellungen verschiedenen Interpretationsansätzen zu. Er stellt dabei fest, dass bis circa 1580 in rascher Folge Gigantensturz-Darstellungen regional zentriert im oberitalienischen Raum entstanden. Einige sind Bestandteil eines uneinheitlichen, eher enzyklopädischen Bildprogramms, andere Werke ziehen aber schon ab 1535 konkrete historische Ereignisse zur Verherrlichung eines Protagonisten heran, etwa zur Ehrung von Kaiser Karl V, der in seinem Streben nach Hegemonie über Europa die politische Landschaft Italiens völlig verwandelte. Dabei ging es weniger um die Darstellung der Tugendhaftigkeit der jeweiligen historischen Persönlichkeit, sondern vor allem um die Legitimierung der Rechtmäßigkeit bestehender Machtverhältnisse. In der Villenkultur, der villeggiatura erhielt der Mythos eine Deutung, die auf den Sieg über die Kräfte der Natur zielte. Die Zahl der Gigantensturz-Darstellungen nahm ab dem 17. Jahrhundert kontinuierlich ab und auch geografisch weitete sich die Verbreitung des Bildsujets kaum aus, wenn man vom Vordringen in die Toskana und in die römische Kunst absieht. Gleichzeitig wird nun die ethisch-moralische Bedeutung der Gigantomachie mehr hervorgehoben. So erscheint um 1700 der Gigantensturz eher als Allegorie der Etablierung von Kultur und Zivilisation. Erst um 1800 mit dem Untergang der Adelskultur und einem völlig neuen Stilempfinden verschwand das dramatische Bildsujet des Gigantensturzes.
7.5.2003
Annegret Winter
Vetter, Andreas W: Gigantensturz-Darstellungen in der italienischen Kunst. Zur Instrumentalisierung eines mythologischen Bildsujets im historisch-politischen Kontext. 1. Aufl. 2002. 470 S., 174 sw. Abb. 24 cm. Br EUR 52,40
ISBN 3-89739-299-2
 
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