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Das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland

Nach den großen Werken des gelehrten Jesuiten Joseph Braun, aus den Jahren 1924 bzw. 1932, hat das christliche Altargerät bei Kunsthistorikern weit weniger Aufmerksamkeit gefunden, als es mit materieller Opulenz, in gestalterischer Vielfalt und mit tiefen kultischen Sinnbezügen wohl verdiente. Das soeben erschienene "opus magnum" von Johann Michael Fritz kann wissenschaftsgeschichtlich aber auch deshalb eine besondere Würdigung beanspruchen, weil damit zum ersten Male zusammenfassend, fast in der Art eines "Corpus", über das Kultgerät der Kirchen reformatorischer Bekenntnisse in Deutschland gehandelt wird. Nach seinem eindrucksvollen Werk über "Die Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa" (l982) war der Verfasser dafür wie kaum ein anderer durch umfassende Kennerschaft ausgewiesen.
Die besonderen Probleme und Aufgaben des Vorhabens sind vor allem mit den unabweisbaren historischen und kultischen, positiven wie kritischen Beziehungen der reformatorischen Konfessionen zur katholischen "Mutter-"Kirche gegeben. Sie durchziehen die Darstellung in der vielfältigsten Weise, angefangen von der wohl verständlichen anfänglichen Übernahme des Vorhandenen durch die neugläubigen Gemeinden. Die Bewahrung des Überkommenen wird im Geleitwort des Landesbischofs M. Kock damit erläutert, Luther habe "keine neue Kirche gründen wollen", während Kardinal Lehmann von der Gegenseite auf eine darin "verborgene Gemeinsamkeit" erkennen will. Doch auch in der Folgezeit bleibt es vielfach, wenn nicht überwiegend, bei eher traditionellen Formen und Typen der kultischen Gerätschaften, die nur zögerlich den neuen kultischen Gegebenheiten angepaßt werden.
Natürlicherweise stellt sich sehr bald die Frage nach dem "typisch Evangelischen" auch auf diesem Gebiet. So erweisen sich die alten Kelche für die katholische Messe als zu klein für die Kelchkommunion der Neuerer. Man braucht daher eigene Gefäße für die Weinspende in großen Gemeinden - insofern ist die Einführung von Weinkannen, manchmal in Gruppen gefertigt, eine sinnvolle Ergänzung des älteren Bestandes, bald dann auch in einheitlicher Gestaltung. Wenn dabei in der Regel auf nahestehende profane Formen zurückgegriffen wird, dann geschieht damit nur das, was schon die frühen Christen in der Entwicklung ihres Altargerätes getan hatten. Vergleichbar ist auch das Bestreben nach sakraler Kennzeichnung mit Bildwerk, Symbol oder Text. Entsprechendes geschieht bei der Entwicklung einer größeren Brotschale anstelle der Einzelpatene, sowie für die Hostiendose als größerem Vorratsbehälter für Oblaten bzw. Brotstücke, wie teilweise erforderlich im Bereich der reformierten Gemeinden. Obwohl diese Dosen wieder an die frühe Pyxis anknüpfen, gehen sie in Größe, Formenreichtum und entsprechender künstlerischer Ausstattung oft weit darüber hinaus.
Hier wie in manchen anderen Fällen ist auf die nicht unwesentlichen Unterschiede im Verständnis des Abendmahles zwischen den lutherischen und den reformierten Gemeinden hinzuweisen, mit naheliegenden Konsequenzen für Gestaltung und Ausstattung der Gerätschaften, mit einer deutlichen Spannung zwischen Bild und Wort, oder sogar "sakraler Leere". Mit der katholischen Glaubensüberzeugung an die "Realpräsenz" in der Eucharistie sind höhere Voraussetzungen für eine eigene Würde der Altargeräte gegeben.
Im zitierten Begleitwort hingegen stellt Bischof Kock dem eine evangelische, "sehr nüchterne und funktionelle Umgangsweise mit den Elementen des Abendmahles" gegenüber. Doch gibt es auch in der lutherischen Tradition durchaus Hinweise auf eine fortdauernde Sakramentsfrömmigkeit. Sie äußert sich zweifellos in der würdigen und theologisch vertieften Ausstattung vieler "vasa sacra", im Gegensatz beispielsweise zu zwinglianischen Gemeinden, die aller "Pracht" eine strikte Ablehnung entgegenbringen.
Über zu diskutierende Darstellung und Analyse mancher theologisch-künstlerischer Probleme hinaus stellt sich das hier angezeigte Buch vor allem dar als ein repräsentatives, fast monumental zu nennendes Kompendium der Schöpfungen, die die postreformatorischen Kirchen des deutschen Raumes zu Geschichte und Entwicklung des christlichen Altargerätes beigetragen haben. Im Selbstverständnis des Verfassers macht die Auswahl des in hervorragender Qualität und kaum zu übertreffender Fülle dargebotenen Abbildungsmaterials den entscheidenden Part des Werkes aus. Nach den historischen Zeugnissen der Frühzeit, in denen die "bewahrende Kraft des Luthertums" erkannt wird – so der Titel eines früheren Buches von 1997 –‚ folgt die eindrucksvolle Präsentation gestaltlicher wie auch bildkünstlerischer Meisterwerke aus dem 17. und l8. Jahrhundert. Die gewählte Zeitgrenze bald nach 1800, also mit dem Untergang des Alten Reiches, ist aus historischen, soziologischen, materiellen und technischen Erwägungen eingehalten worden, sie verbleibt damit außerhalb zunehmender Tendenzen zu experimenteller Beliebigkeit in neuerer und neuester Zeit.
Manche in den Begleittexten behandelten besonderen Fragen verdienten wohl eigene Kommentare, um so mehr, als es an Vorgängerliteratur weitgehend fehlt. Technisch-materiell gesehen spielt Silber – meist vergoldet – die beherrschende Rolle, wie schon bei dem Kultgerät der christlichen Antike und des Mittelalters.
Daneben begegnet Zinn, als billiger Notbehelf oder aus so verstandener "Demut". Für die Klärung der reformatorischen Gegebenheiten bei der bildlichen, symbolischen oder inschriftlichen Ausstattung der "vasa sacra" sind die Beiträge der theologischen Mitarbeiter des Bandes von hohem Nutzen. Dabei spielt die Differenzierung zwischen der "lutherisch-reinen Lehre" und einer "idolomachia" der Calvinisten eine Rolle, übrigens auch die materielle Seite betreffend: "Die Lehre achtet höher denn köstlich Gold".
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der von Johann Michael Fritz – nicht zuletzt im Zusammenwirken mit seiner Schwester Dr. Andrea Fritz, mit manchen Sponsoren und wohl nicht zuletzt in privater Großzügigkeit – vorgelegte Prachtband den überwältigenden Einblick vermittelt in eine Welt sakraler Kunst, die bisher keine angemessene Aufmerksamkeit gefunden hatte. Zu Recht kritisiert der Verf., dass dies auch für protestantische Enzyklopädien gilt, wo vorwiegend vorreformatorische "vasa sacra" begegnen. Es darf aber gerade für das angezeigte Werk eine sinnvolle und fruchtbare ökumenische Zusammenarbeit festgehalten werden, nicht zuletzt konkretisiert im Verfasser selber, der auch Leiter der Sektion Kunstgeschichte der (katholischen) Görres-Gesellschaft ist.
Der überreiche Bilderschatz wird begleitet und kommentiert von sorgfältig erarbeiteten Katalogtexten, mit Registern und Literaturhinweisen. Bedauernd sei hingewiesen auf das Fehlen einer Nummernkonkordanz zwischen Bildteil und Katalog, mit unnötiger Erschwerung für Nachschlagen und Vergleichen.
24.1.2005

Victor H. Elbern
Fritz, Johann M.: Das evangelische Abendmahlsgerät in Deutschland. Vom Mittelalter bis zum Ende des alten Reiches. 400 S., 400 fb. Abb., 30 cm. Gb., Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004. EUR 88,-
ISBN 3-374-02200-6
 
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