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Licht und Schatten - Zwei Ãœberblicke zur Geschichte der Kunst und der Malerei

Wer einen Überblick über die Geschichte der Kunst von den frühen Hochkulturn bis zur EXPO in Hannover im Jahre 2000 sucht, ist das Reclam Kunst-Handbuch auf den ersten Blick eine Fundgrube. Ein sinnvolles Layout, eine klare farbliche Gliederung und ein durchgehendes Schema der Text-Bildbeziehung wecken die Neugierde. Im Eiltempo blättert man durch die Kunstgeschichte und bekommt einen allerersten Überblick. Wer indes ein tieferes Verständnis oder gar problemorientierte Fragestellungen zur Kunst erwartet, wird kaum auf seine Kosten kommen. Die vom Autor verwendeten starren Ordnungsbegriffe wie Künstler, Kunstzentren, Kunstbetrieb, Stil, Wirkungsgeschichte, Material/Technik, Gestaltungsmittel usw. werden zum überwiegenden Teil auf traditionelle Gattungen und unproblematische Kategorien bezogen; über das auch in anderen Handbüchern längst gesammelte Faktenwissen kommen die Kurztexte meistens nicht hinaus. Unverständlicherweise fehlen wichtige Aspekte gerade der Kunst nach 1945. Die Kunstmetropole New York ist ebenso wenig "anwesend" wie die amerikanische land-art. Wichtige interdisziplinäre Aspekte, wie etwa die Beziehung zwischen Kunst und Natur oder das Thema der Zeit und Kunst fehlen vollständig. Der Aspekt Multimedia wird unter Material/Technik verbucht und Hinweise zur Geschichte der Videokunst sucht man vergeblich. Das Thema "Verfolgung und Vernichtung" unter der Kategorie Kunstbetrieb einzureihen, macht aus dem positivistischen Ordnen von Fakten einen nachträglichen Akt zeitloser Verharmlosung. Der Einbezug neuerer Kunsttheorie/n oder auch das aktuelle Thema der Interdisziplinarität wurde ebenso sorgfältigst gemieden wie auch eine nähere Erläuterung den für die Moderne zentralen Begriffs des ready-mades, der mit sechs(!) nichtssagenden Zeilen eine Kurzwürdigung erfährt. Auch die Konzeptkunst (S. 483) scheint den Autor nicht sonderlich interessiert zu haben. Und ist es verwunderlich, dass am Schluss ausgerechnet das modische Thema "Event" abgehandelt wird? Die wirklich anregenden Themen, wie etwa "Spielstätten" (S. 112f.), "Minne" (S. 206), "Adaption" (S. 436f.), Kultbild (S.94f.), Beton (S. 476f.); Eis und Schnee (S. 404f.) bilden leider Ausnahmen. Gerade eine stärkere Einbeziehung von Grenzgebieten hätte diesem Band eine durchaus eigene Note geben können.
Vielleicht hätte man mehr Mut zu Lücken aufbringen und statt der Häppchen-Kurztexte mehr auf weiter ausholende Essays zurückgreifen sollen. Das Vorhaben, die Geschichte der Kunst und Kultur in zehn Hauptkategorien und ca. 200 Einzelaspekten aufzuspalten, erfordert eben doch mehr als ein hauptsächlich faktenorientiertes Ansammeln von Detailwissen. Ein heute notwendiges Verständnis für kontextuelles Wahrnehmen und Denken wird durch die naturwüchsig erscheinende, chronologische Abfolge der Aspekte eher unterdrückt als geweckt – geschweige denn gefördert.
Im Vergleich dazu kommt der ähnlich wohlgestaltete Band aus dem Gerstenberg-Verlag mit dem nüchternen Titel 50 Klassiker GEMÄLDE auf den ersten Blick sehr viel bescheidener daher. Der Autor lädt ein zum "Kopfabenteuer Bildbetrachtung" - selbst ein vielleicht etwas abenteuerlicher Begriff - und hat sich dazu auf 50 Klassiker der europäischen Malerei beschränkt, wobei die Gewichtung etwas klassisch-bildungsbürgerlich erscheint - die Mehrzahl der besprochenen Werke stammt aus der Renaissance und dem Barock. Dass wiederum gerade die Kunst des 20. Jahrunderts etwas unterbelichtet wirkt, ist hier doppelt schade. Wenn schon Andy Warhol und Jackson Pollock als Klassiker gelten - warum hat man beispielsweise Max Beckmann, Sigmar Polke oder Gerhard Richter nicht ebenfalls in den Band aufgenommen? Inhaltlich ist sich der Autor offensichtlich der notwendigen Begrenzheit seiner Darstellung sehr wohl bewußt. Er stellt nicht scheinbar objektive Daten zusammen wie im oben besprochenen ReclamHandbuch, sondern beleuchtet ausgewählten Aspekte aus bewußt selektivem Blickwinkel. Dem Autor gelingt es so den Raum sozialhistorisch geprägter Bedingungen hinter den Werken genau so zu verdeutlichen wie auch einen konkreten Blick in die Bilder selbst zu wagen. Dem Leser wird so jederzeit die Konstruktion der Darstellung bewußt (gemacht). Wiederkehrende Zusammenfassungen ("Leben und Werk", "Daten" und "Kurzbewertung") komprimieren grundlegende Erkenntnisse ohne sie zu bloßen Fakten zu simplifizieren - insgesamt ein anregendes Beispiel reflektierter Kunstbetrachtung, die neben Wissen(schaft) auch Unterhaltung und Spannung nicht ausschließt und das eigene Mitdenken mit der gleichzeitigen Lust an der Kunst-Wahrnehmung verbindet.
2.5.2001
Michael Kröger
Christoph Wetzel. Das Reclam Buch der Kunst. 534 Seiten. 320 Abb., HC, Ph. Reclam, Stuttgart 2001. DM 79,-
ISBN 3-15-010476-9
Rolf H. Johannsen. 50 Klassiker Gemälde. Die wichtigsten Gemälde der Kunstgeschichte. 2001. 320 S., reich bebildert, 23 x 16 cm, Klappenbroschur DM 39,90
ISBN 3-8067-2516-0
 
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