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Klassiker der Kunstphilosophie

Von der Kunsttheorie der griechischen Antike bis zu der französischen Kunstphilosophie im 20. Jahrhundert stellen die Klassiker der Kunstphilosophie Leben, Werk und Wirkung der großen Kunstphilosophen und -theoretiker dar. Ausgewiesene Experten bieten mit diesen Porträts einen vorzüglichen Einblick in die unterschiedlichen Positionen der Kunstphilosophie, beschreiben deren theoretische Voraussetzungen und fragen nach ihrer Bedeutung in der Gegenwart. Dabei erscheinen vermeintlich vertraute Klassiker wie Kant, Hegel oder Adorno häufig in einem ganz neuen Licht.

Beiträge über: Platon, Aristoteles und die Kunsttheorie der griechischen Antike. Kunstphilosophie im Mittelalter.
Leon Battista Alberti, Antony Ashely Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Denis Diderot, Alexander Gottlieb Baumgarten; Immanuel Kant, Gotthold Epharim Lessing, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Konrad Fiedler, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Theodor W. Adorno, Maurice Merleau-Ponty, Arthur C. Danto, Jean-Francois Lyotard.

Einleitung:
Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, dem Leser einen Überblick über die epochemachenden Positionen der europäischen Kunstphilosophie in Form von allgemeinverständlichen Einzeldarstellungen aus der Feder ausgewiesener Spezialisten zu vermitteln. Entgegen einem heute weitverbreiteten Sprachgebrauch sind Ästhetik und Kunstphilosophie nicht dasselbe. Zwischen beiden Disziplinen gibt es einen systematischen Zusammenhang, doch ist es ratsam, auch Unterschiede in ihrer jeweiligen Perspektive auf Phänomene der Kunst zu beachten. Als Alexander Gottlieb Baumgarten in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine eigenständige philosophische Teildisziplin namens «Ästhetik» erfand, konzipierte er sie als «Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis», denn es ging ihm gar nicht primär um eine Theorie der Kunst. Vielmehr wollte er mittels dieser neuen Wissenschaft die eigengesetzliche, freilich durchaus «vernunftanaloge» Erkenntnisfähigkeit der menschlichen Sinnesvermögen (wie Anschauung, Phantasie etc.) erweisen. Diese gedachte er gegen ihre Verdrängung durch einen zeitgenössisch dominanten Rationalismus zu rehabilitieren, der nur begriffliches Wissen als wahrheitsfähig akzeptierte und deshalb die Sinnlichkeit des Menschen auch nur als sein «unteres Erkenntnisvermögen» verstand; – im Unterschied zu Verstand und Vernunft als den «oberen Erkenntnisvermögen». Das «Ziel» seiner «Ästhetik» war deshalb etwas, das eine Philosophie, die vor Baumgarten in der menschlichen Sinnlichkeit vor allem eine Quelle des Irrtums und der Täuschung sah, gar nicht für möglich hielt: «perfectio cognitionis sensitivae, qua talis»; auf deutsch: «Vollkommenheit» – bzw. «Vervollkommnung», wie man das lateinische Wort «perfectio» auch lesen kann – «der sinnlichen Erkenntnis als solcher». Eine sinnlich basierte Zugangsweise des Menschen zur Welt, die zu solcher Vollkommenheit fähig sei, nannte er mit einer Ausdrucksweise, die heute gewiß ungewöhnlich klingt, ein «schönes Denken». Und weil es nicht wie das rationale Verstandesdenken in abstrakten Begriffen und Urteilen, sondern insbesondere in der sinnlichen Präsenz von Kunstwerken zum Ausdruck gelangt, die in ihrer Schönheit die Schönheit solchen Denkens reflektieren, wollte Baumgarten seine neue Wissenschaft nicht nur «als untere Erkenntnislehre, als Kunst des schönen Denkens und als Kunst des der Vernunft analogen Denkens», sondern auch «als Theorie der freien Künste» betreiben. Denn die sogenannten «schönen Künste» stellen das vorzügliche Beispiel dar, an dem ein «schönes Denken» sinnlich erfahrbar wird.
Mochte man auf dem unvergleichlichen Siegeszug, den das Projekt einer Ästhetik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts antrat, auch manche Anregung Baumgartens preisgegeben, ja seinen philosophischen Grundansatz – seit Kant – sogar im Ganzen revidiert haben: Den Gedanken, daß «Ästhetik» mit dem Schönen der Kunst zu tun habe, behielt man bei. Eben deshalb adoptierte noch Hegel diesen «Namen», der schon zu seiner Zeit «in die gemeine Sprache übergegangen» war, für seine «Philosophie der Kunst», obgleich er ihn «eigentlich nicht ganz passend» fand. Denn in seinen der Kunst gewidmeten Vorlesungen an der Berliner Universität in den 1820er Jahren wollte er «bestimmter ‹Philosophie der schönen Kunst›» betreiben; wenn auch – über 70 Jahre nach Baumgartens wissenschaftsgeschichtlich so folgenreicher Innovation – nicht mehr als «Wissenschaft des Sinnes» und auch nicht als Theorie des ästhetischen Urteils wie Kant. Mit dieser Entscheidung hat er nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß heute viele die Ausdrücke «Ästhetik» und «Kunstphilosophie» weithin synonym gebrauchen.
Doch hat es Philosophie der Kunst notwendigerweise mit dem Schönen der Kunst zu tun, wie Hegel und mit ihm alle Ästhetik voraussetzt? Hat Kunst überhaupt und unvermeidlicherweise Schönheit zum Zweck, so daß all jenes, was die Erfahrung von Schönheit verweigert, damit zugleich den Anspruch auf den Ehrentitel «Kunst» verspielt?
Im Blick auf jene bestimmte, durch sinnliche Anmutungsqualitäten bestechende Art von Kunst, die die Ästhetiker bis zu Hegels Zeiten vor Augen haben konnten, mochte dies so erscheinen. Heute, nach den Erfahrungen der sprichwörtlich «Nicht-mehr-schönen-Künste» der Moderne, entbehrt der behauptete Zusammenhang von Kunst und Schönheit seiner traditionellen Selbstverständlichkeit. Bereits ein halbes Jahrhundert nach Hegels Tod empfand dies der Kunsttheoretiker Konrad Fiedler so, obgleich er gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Radikalität, mit der die Kunst der Moderne die Emanzipation von der Schönheit später vollzog, noch gar nicht in vollem Umfang überblicken konnte. Und doch durchschaute er schon damals höchst scharfsichtig die unausgewiesene Voraussetzung jedes «ästhetischen» Zugangs zur Kunst. «Die moderne Ästhetik seit Baumgarten», notierte er, «ging nicht davon aus, zu fragen, was der Künstler eigentlich tue, indem er Kunstwerke hervorbringe, vielmehr war die Frage» – von Baumgarten bis Kant – «die, wie es komme, daß wir eine gewisse Art des Gefallen[s] als Schönheit von anderen Arten des Gefallens unterscheiden.» Oder man fragte, wie man Fiedlers Einsicht hinzufügen könnte, in Hegelscher Perspektive danach, auf welche Weise Kunst das Ideal der Schönheit (bzw. was man jeweils dafür gehalten hat) zum Ausdruck bringe. «Daß Schönheit Zweck der Kunst sei», wurde freilich stets vorausgesetzt, was Fiedler für «eine willkürliche unbewiesene Annahme » hielt, «die jedes unbefangene Nachdenken über Wesen und Ursprung der Kunst unmöglich machte.» Mag sein, daß Fiedlers letzter Behauptung noch heute nicht jeder wird folgen wollen: Richtig, so scheint es, bleibt doch die in seiner Diagnose implizierte Einsicht, daß das «Grundproblem der Ästhetik [. . .] ein anderes» ist, «als das Grundproblem der Kunstphilosophie.» Ästhetik fragt nach der Kunst unter der Voraussetzung, daß Schönheit ihr Zweck sei, erörtert die Weisen und Formen, auf die ein Betrachter (oder Hörer, oder Leser) diese in spezifischen Kunstwerken erfährt. Kunstphilosophie dagegen fragt überhaupt erst nach Wesen und Ursprung der Kunst, ohne über ihren Zweck oder Begriff schon im Sinne der Ästhetik vorentschieden zu sein.
Im Sinne dieser Unterscheidung, die der gewöhnliche Sprachgebrauch allzu oft verschleift, präsentiert das vorliegende Buch «Klassiker der Kunstphilosophie», nicht «Klassiker der Ästhetik». Anders als Darstellungen des europäischen Nachdenkens über Kunst, die dessen historische Entwicklung in ästhetischer Perspektive in Abhängigkeit von der je dominanten Philosophie des Schönen beschreiben, versucht es, epochemachende Stationen dieser Entwicklung – geordnet nach der historischen Chronologie der Geburtsjahre der maßgeblichen Autoren – möglichst unabhängig von den Vorentscheidungen einer ästhetischen Sicht auf die Kunst zu präsentieren. So soll ein Panorama der einerseits systematisch bedeutsamsten, andererseits wirkungsgeschichtlich folgenreichsten kunstphilosophischen Positionen entstehen, in denen sich im Laufe der Geschichte entscheidende Neuverständigungen über Begriff und Zweck der Kunst vollziehen; – was natürlich nicht ausschließt, daß im vorliegenden Buch auch Positionen zur Sprache kommen – zur Sprache kommen müssen –, deren kunstphilosophische Grundthese darin besteht, daß ein ästhetischer Zugang zur Kunst allein angemessen sei!
Jedes Auswahlprinzip, das zur Organisation des Panoramas einer historischen Entwicklung verwendet wird, hat natürlich etwas Idealisierendes und – bedauerlicherweise – auch Ausgrenzendes an sich. Und so ist es ein in Einleitungen zu Überblickswerken über historische Entwicklungen üblicher Gemeinplatz, auf den auch hier nicht verzichtet werden soll, darauf hinzuweisen, daß jede Auswahl der maßgeblichen Positionen in manchen Aspekten immer auch hätte anders ausfallen können. Die vorliegende legitimiert sich durch ihren Akzent auf der Philosophie der «bildenden Kunst». Auf vermeintlich vertraute Klassiker fällt unter diesem Gesichtspunkt mitunter ein neues Schlaglicht. Autoren wie Alberti und Shaftesbury, Diderot oder Fiedler, die eine ästhetisch orientierte Geschichtsschreibung des europäischen Kunstdenkens häufig marginalisieren zu dürfen glaubte, rücken in diesem Lichte vom Rand der historischen Aufmerksamkeit verstärkt ins Zentrum.
Eine Traktatliteratur, in der Kunstphilosophie im hier angedeuteten Sinne der hauptthematische Gegenstand gewesen wäre, hat es in Antike und Mittelalter nicht gegeben. Die teilweise durchaus subtilen Einsichten in Wesen und Funktion der Kunst, die in beiden Epochen erarbeitet wurden, stehen entweder im umfassenderen Rahmen des Nachdenkens über das Wesen des Schönen oder werden – insbesondere in der griechischen Antike – in «Fachliteratur» für Maler und Architekten formuliert. In ihrer Quintessenz werden sie deshalb synoptisch dargestellt. Die Einzeldarstellungen beginnen mit einer Position des frühen Quattrocento: mit der Kunsttheorie von Leon Battista Alberti, der neben Traktaten über das Standbild und die Architektur in seiner Schrift De Pictura von 1435/36 die Grundzüge dessen umreißt, was dann bis zum Beginn der künstlerischen Moderne in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast ungebrochen als verbindlicher Begriff des europäischen Kunstbildes gelten wird. Das Jahrhundert der Kunstphilosophie, in dessen Mitte Alexander Gottlieb Baumgarten den kunstphilosophischen Gedanken faßt, daß «Ästhetik» als eine eigenständige Teildisziplin der Philosophie betrieben werden müsse, ist dann aber erst das 18. Für das, was Kunstphilosophie in diesem Jahrhundert insbesondere in Deutschland werden sollte, sind Anthony Ashley Cooper, der dritte Earl of Shaftesbury, sowie der «Enzyklopädist» und «Aufklärer» Denis Diderot entscheidende Anreger, die noch Goethe an dessen Ende intensiv rezipiert.
Seither reißt die Folge der Versuche einer systematischen kunstphilophischen Verständigung darüber, was Kunst sei und solle, in der Geschichte des europäischen Denkens nicht mehr ab. Nach Baumgarten werden im vorliegenden Band Kant, Lessing und – bereits tief ins 19. Jahrhundert hineinragend – Hegel vorgestellt. Immanuel Kant, der den nicht zuletzt durch Diderot in die Diskussion gebrachten Begriff des künstlerischen «Genies» einer bis heute relevanten Analyse zuführt, steht für einen kunstphilosophischen Ansatz bei der ästhetischen Beurteilungskraft des kunsterfahrenden Subjekts, wobei er in der Kritik der Urteilskraft die Grundzüge dessen herausarbeitet, was man heute mit der Rede von «ästhetischer Erfahrung» bezeichnet. Gotthold Ephraim Lessing, eigentlich von der Dichtungs- und Dramentheorie herkommend, führt den heute gängigen Begriff der «bildenden Kunst» zur Unterscheidung von Malerei und Skulptur von der Dichtung in die Diskussion ein, weil er als erster nachdrücklich auf die medienspezifischen Differenzen zwischen den einzelnen Künsten reflektiert. Georg Wilhelm Friedrich Hegel schließlich verkörpert exemplarisch einen Blick auf die Kunst in dezidiert historischer Perspektive. Mit seiner Kunstphilosophie ist er zu einem entscheidenden Anreger dessen geworden, was sich bald danach unter dem Namen «Kunstgeschichte» als eigenständige akademische Disziplin konstituieren sollte.
Mit dem Kunstdenken Konrad Fiedlers erreicht die Darstellung die Grenze zum kunstphilosophischen Diskurs der Gegenwart. Seine bis heute von Philosophen und Kunsthistorikern immer noch allzu oft unterschätzte Theorie bricht nicht nur, wie angedeutet, mit lange Zeit tradierten ästhetischen Vorurteilen, um bildende Kunst nicht mehr von der ins Werk gesetzten Schönheit, sondern von der in ihr sich vollziehenden künstlerischen Erkenntnisarbeit her zu verstehen. Sie ist zudem auch in wirkungsgeschichtlicher Perspektive für all diejenigen von eminenter Bedeutung, die sich für die Veränderungen, ja Umbrüche interessieren, die die Kunst der Moderne herbeigeführt hat. Denn stärker als im kunstphilosophischen und -historischen Diskurs hat sie auf Künstler gewirkt, die am Prozeß der Moderne beteiligt waren. Gleiches dürfte für Fiedlers Zeitgenossen Friedrich Nietzsche gelten, dessen Kunstdenken mit demjenigen der übrigen vorgestellten Theoretiker kaum vergleichbar ist. Denn Nietzsche hat nicht so sehr über die Künste nachgedacht. Vielmehr vollzieht, ja zelebriert sein philosophisches Schreiben das Künstlerisch-Werden des Denkens selbst, ist – und dies ist bis heute das Faszinosum nicht nur für Künstler – philosophische Theorie als Kunst.
Ähnliches dürfte TheodorW. Adorno angestrebt haben, dessen kunstphilosophisches Hauptwerk mit dem Titel Ästhetische Theorie weniger eine Theorie über Ästhetisches als das Ästhetisch-Werden der Theorie als solcher meint. Unter den kunstphilosophischen Hauptpositionen des 20. Jahrhunderts wird sein Theorieansatz freilich vor allem als der in diesem Jahrhundert bedeutendste Versuch dargestellt, Kunst von ihren zeitdiagnostischen und utopischen Potentialen her zu verstehen. Der Anordnung der Positionen nach der Chronologie der Geburtsjahre der Autoren ist es geschuldet, daß Adornos Ansatz im vorliegenden Buch aber eine Darstellung der Kunstphilosophie des vierzehn Jahre älteren Martin Heidegger vorgeschaltet ist. Derjenigen Fiedlers in dieser Hinsicht vergleichbar, bricht sie radikal mit jeglichem ästhetischen Zugang zur Kunst, um das Wesen eines Kunstwerkes von einem darin sich vollziehenden Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit her zu deuten.
Mit den Kunstphilosophien von Maurice Merleau-Ponty, Arthur C. Danto und Jean-François Lyotard kommt der Reigen der Darstellungen zum Ende. Im Falle dieser drei mag man am ehesten über die Angemessenheit der Auswahl streiten. - Merleau-Ponty? - Warum nicht Jean-Paul Sartre oder Roman Ingarden? - Danto? - Weshalb nicht Nelson Goodman, Richard Wollheim oder gar Stanley Cavell? - Lyotard? - Weshalb nicht Jacques Derrida, dessen Wirkung im Diskurs der Gegenwart doch unvergleichlich größer ist? - Solche Fragen sind zweifelsohne berechtigt; die Einwände, die sie implizieren, nicht ohne weiteres zu entkräften. Wenn Merleau-Ponty hier als Beispiel für einen phänomenologischen, Danto für einen sprachanalytischen und Lyotard schließlich für einen «postmodernen » oder «dekonstruktivistischen» Ansatz in der Kunstphilosophie der Gegenwart stehen, dann ist es die Überzeugung des Herausgebers, daß sich diese Ansätze im Blick auf die Frage, was Kunst sei (und nur auf diese!), auf mittlere, wenn nicht gar lange Sicht als am tragfähigsten erweisen werden. Doch selbst wenn dies eine Fehleinschätzung sein sollte: Als wichtige Exponenten der dominierenden Strömungen der Gegenwartsphilosophie lassen sie sich unter kunstphilosophischen Auspizien immerhin sehen.
22.1.2006
vdr
Klassiker der Kunstphilosophie. Von Platon bis Lyotard. Stefan Majetschak. 339 S., 19 x 12 cm, Pb., C.H. Beck, München 2005. EUR 14,90
ISBN 3-406-52834-1   [C. H. Beck]
 
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