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Geschichte der Landkarte

Schon die Kleinsten kennen sie, die Landkarte, allerdings, wie bei Alan A. Milnes 'Pu der Bär' oder Janoschs 'Panama' als Darstellung eines fiktiven Raums. Davon ist in zwei Neuerscheinungen zum Thema nicht die Rede, sondern von realen Räumen. Sie müssen auf ein zweidimensionales Format gebracht werden müssen, sollen sie ihren Zweck, die Orientierung im Raum zu erleichtern, erfüllen. "Landkarten", so Jeremy Black, Professor für Geschichte an der Universität von Exeter, in seiner 'Geschichte der Landkarte', "spiegeln räumliche Verhältnisse" und sie geben eine "selektive Darstellung der Wirklichkeit". Aus der Historikerzunft wurde insbesondere von Karl Schlögel, Professor an der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder, in einem Aufsatz 'Kartenlesen, Raumdenken. Von der Erneuerung der Geschichtsschreibung' in der Zeitschrift Merkur 2002 angeregt, sich mit dieser Dimension näher zu beschäftigten. Dass nun in kurzer Zeit von zwei Historikern, neben Jeremy Black auch Ute Schneider, zwei Bücher zum gleichen Thema vorgelegt wurden, darf als Glücksfall angesehen werden. Das Buch von Schneider trägt den Titel 'Die Macht der Karten'. Der Band wurde von der Presse mit viel Lob bedacht, ein Lob, das der Band verdient, aber nicht er allein. Das Werk von Black 'Visions of the World. A History of Maps' aus 2003, das 2006 endlich auf deutsch erschien, leistet bedeutende Vorarbeit.

Wie häufig bei Publikationen aus dem angelsächsischen Raum, so versteht es Black, kenntnisreich und unterhaltsam für ein interessiertes Laienpublikum zu schreiben. In der Einleitung skizziert Black, welche Aspekte, so Zweck und Form, bei Landkarten von Bedeutung sind, er gibt gewissermaßen eine Systematik vor, handelt die einzelnen Aspekte auch ab, aber unter dem Grobraster einer Chronologie. Schneider entwickelt auch eine Geschichte der Karten, aber sie stellt jedes Kapitel unter einen systematischen Aspekt, wie Kartenproduktion, Projektionen und Standardisierungen, Farben und Benennungen. Black, soviel darf gesagt werden, ist für den interessierten Laien, leichter rezipierbar, auch weil die Fachsprache leicht verständlich übersetzt wird und die Komplexität stark reduziert wird. Ein geschultes Publikum wird das Buch von Schneider bevorzugen, hätte aber auch an Black seine Freude, umgekehrt ist es für den Laien nicht so einfach, die systematischen Aspekte bei Schneider zu einer Chronologie zusammenzufassen.
Bei beiden Autoren wird eines deutlich, Kartographie ist eine komplexe Materie. Zwei Dimensionen fließen hier zusammen. Zum einen sind Kartendarstellungen abhängig vom Wissensstand, technischer Entwicklung und ästhetischen Vorstellungen einer Epoche und es fließen in ihre Gestaltung soziale, kulturelle und politische Vorstellungen ein. Die Kartographie - in puncto Wissenschaftsgeschichte leistet die Schneider mehr als Black - ist eine Wissenschaft, die sich aus Geographie und Astronomie entwickelte. Von Kartographen, das wird auch an der Lebens- und Werkgeschichte einer der berühmtesten Kartographen, Gerhard Mercator (1512-1594) deutlich, dessen Leben und Werk der Schriftsteller Jan Vermeulen zu einem packenden Zeit- und Sittengemälde, verdichtete, wird viel verlangt. Sie müssen Generalisten sein, gleichermaßen naturwissenschaftlich und künstlerisch begabt sein. Dies gilt für die Kartenmacher des Mittelalters, damit beginnt Schneider ihr Buch, wie für jene aus Antike oder prähistorischer Kulturen -mit dieser Epoche setzt Blacks Buch ein, und sie müssen gute Kaufleute sein, ob sie nun im Auftrag von Regierungen oder für das aufkommende Bürgertum herstellten. Wie finanziell knapp es mitunter selbst beim berühmten Mercator zuging, ein Copyright existierte noch nicht, davon erfährt man bei Vermeulen viel. Mercator, der mathematisch begabt war und eine neue, winkeltreue, Projektionsform entwickelte, ist auch deshalb eine sehr interessante Figur, lebte er doch in einer Epoche des Aufschwungs der Wissenschaften. Andererseits aber war die Obstruktion durch die katholische Kirche enorm. Sie bedrohte jedes Infragestellen ihres Weltbilds mit Inquisition, ein Grund für Mercator die Niederlande zu verlassen und sich in Duisburg anzusiedeln. Der Umbruch, die kopernikanische Wende, erschütterte deren Grundfesten in mindestens dem gleichen Maße wie Luthers Reformation. Das Mittelalter neigte sich dem Ende zu und damit -das ist einer der interessantesten Aspekte in Schneiders Buch- änderte sich die Kartographie fundamental, ja der Begriff Karte tauchte auf, wo sie zuvor als "mappa", "carta", "figura" oder als "pictura" bezeichnet wurde und es entstand - fast noch wichtiger als die Benennung - der Kartentyp, den wir heute kennen. Die "symbolische Verzeichnung" der Welt, die religiös determiniert war, wurde von einer modernen geographischen abgelöst.
Beide Autoren - das macht den Gewinn dieser Arbeiten aus - nehmen keinen eurozentristischen Standpunkt ein und zeigen weltweite Kartendarstellungen. Sie kontextualisieren damit die Raumvorstellungen nach Zeit und Kulturen. Landkarten, das stellen beide Autoren heraus, haben nicht nur die Funktion der Speicherung von Wissen und leisten Orientierungshilfe, sondern, wie in deren Produktion Weltbilder eingehen, so prägen Karten auch das Weltbild der Rezipienten. Der Besitz von Karten, das zeigen beide Autoren, bedeutet, je nach deren Verwendungszweck, politische, militärische oder ökonomische Macht, aber auch mentale Macht, Macht über Weltsichten. Insofern bündelt der Titel von Schneiders Studie die Sachverhalte.
Ob nun nach der Lektüre von Schneider oder Black, die Kartographie, auch Atlanten und Globen werden behandelt, ist danach keine terra incognita mehr. Die Vermessung der Welt geht bis heute weiter, nun nicht mehr vom Boden oder Wasser aus, sondern aus der Luft mit ausgefeilten Instrumenten, mit Beispielen aus der Gegenwart enden die beide Darstellungen. Man darf auf Schneiders neues Buch gespannt sein, das sie zusammen mit Christof Dipper unter dem Titel "Kartenwelten" 2006 herausgibt und das sich vor allem mit der Neuzeit beschäftigen wird.
'Die Vermessung der Welt', so der Titel eines Romans von Daniel Kehlmann, ist ein augenblicklich viel diskutiertes Thema. Die großen Erfolge von Kehlmanns Roman, der eine literarische Doppelbiographie von Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, vorlegte oder von Vermeulens Roman 'Zwischen Gott und der See - Roman über das Leben und Werk des Gerhard Mercator' oder der Nachdruck des 'Atlas Major' aus dem 17. Jahrhundert zeigen dies ebenso, wie Werke, die technischen Innovationen im Umfeld der Kartographie beleuchten, wie 'Der Kompass' von Amir D. Aczel oder Dana Sobels 'Längengrad'. 'Auch die große Weltuhr hat einen Wecker' sagte Johann Peter Hebel, am Ende einer großen Metapherngeschichte des geordnet bewegten Kosmos. Black und Schneider, aber auch Schlögel, sind solche Wecker. Nicht nur - wie ein Titel von Schlögel sagt - "im Raume lesen wir die Zeit", sondern auch in dessen Darstellung. Diese ist in beiden Werken, auch ästhetisch, gelungen und beide Werke wurden sorgfältig ausgestattet.

28.12.2005
Sigrid Gaisreiter
Black, Jeremy: Geschichte der Landkarte. Von der Antike bis zur Gegenwart. Aus dem Englischen von Katrin Boskamp-Priever. 176 S., 8 sw. u. 90 fb. Abb. 28 x 22 cm. Gb., Koehler & Amelang, Leipzig 2006. EUR 29,90
ISBN 3-7338-0339-6
 
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