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Verbotene Bilder

Ein Buch schlägt eine Welt auf, die immer existiert hat, aber nicht existieren durfte. Kopfschüttelnd, Augen reibend liest man über „verbotene Bilder“, sieht man sie sich auf guten Abbildungen an. Eine traditionsreiche Kulturleistung legt dieser schöne Band dem Leser ans Herz und erhellt sie in kenntnisreichen Texten.
Um subversive Kunst geht es dabei nicht. Im Gegenteil: Ganze Werkstätten stellten her, was das Volk haben wollte: Heilige in allen Größen und Farben, Ikonen, Andachtsbildchen. Die Heerscharen von Heiligenfiguren in Russland wurden von allen Seiten und mit Gesetzen bekämpft. Das Wie der künstlerischen Ausführung spielte dabei bis in 18.Jahrhunderte keine Rolle, und ihrer weiteren Geschichte wurden sie dann auch wegen ihrer künstlerischen Defizite verboten. Allgegenwärtige Verbote: Unter den Sowjets waren auf den religiösen Bildern dann die ‚falschen’ Heiligen, die da angebetet wurden und die ersetzt wurden durch Väterchen Stalin. Doch die Sowjetzeit brachte der Ikonenkunst technische Neuerungen und Konservierung - und rettete damit vieles (warum, wie, wodurch – dazu erfährt man in diesem Buch wenig). Seit Jelzin ist die Ikone im Leben der Menschen zurück, verehrt und von der jungen Kunstszene gescholten. Kurzum: Das ganze Thema ist vielfältig, noch nicht genau erforscht, und es gibt durchaus Streit um einige Auslegungen. Dazu ist ein weiter Rückgriff nötig.
Die orthodoxe Kirche hätte sich (es geht um die Zeit des 8. Jahrhunderts) nicht festgelegt, wie sie zur Rundplastik stände, schreibt Hans-Joachim Härtel. Zweidimensionalität, wie oft behauptet, sei keine zu belegende Vorgabe gewesen. Die Abneigung gegen die Vollplastik hingegen ist unstrittiger. Wenn auch nicht kirchenrechtlich festgelegt, verbietet sie sich durch die ungeschriebenen Gesetze der Kirche. Sie galt als Götzenbild, heidnisch, weil von allen Seiten berührbar. Bilder und Reliefs jedoch waren erlaubt: Bilderverehrung bedeutete Verehrung des Abgebildeten. Dagegen war von Seiten der Russischen Orthodoxen Kirche nichts einzuwenden.
Das entspringt religionsgeschichtlich natürlich keineswegs breitem Konsens zwischen den Glaubensrichtungen. Christoph Dohmen erörtert die Frage „Was verbietet das Bilderverbot wem?“ und spickt seinen Beitrag mit Bibelzitaten. Da bleibt der in dieser Welt voller Menschen, die sich Bilder machen wollen, erstaunende Schluss: Die Bibel verbietet diese Bilder und hält das Bilderverbot, diesen Fingerzeig hin zu anderer Vermittlung des Gottesgedankens, wach.
Parallel zum Bildverbot gab und gibt es immer religiöse Bilder, im Islam wie im Protestantismus (beides in diesem Buch kurz ausgeführt). Nun hatte sich Peter der Große mit Haut und Haaren der niederländischen Kultur und damit in seiner Kulturpolitik dem reformierten Bilderverbot verschrieben (was im vorliegenden Buch deutlicher hätte erläutert werde können). 1722 wurden plastische Heiligenbilder als der Orthodoxie fremde Traditionen, übernommen aus katholischen Gebieten, verboten. Das petrinische Gesetz lässt sich in diesem Band (endlich) nachlesen.
Doch es gab sie, die „verbotenen Bilder“, auch wenn immer wieder, wie Marianne Stößl darlegt, Begründungen geliefert wurden, warum die Sakralskulpturen angeblich fehlten. Dabei musste im vergangenen Jahrzehnt diese landläufige Meinung durch einige bedeutende Ausstellungen revidiert werden. Es ergibt sich von selbst, dass wissenschaftlich noch viel Land zu beackern ist. Stößl reißt einiges an, dass als Gerüst zur Lektüre und zum Betrachten der 155 Abbildungen dient. Vor allem wichtig ist, dass nur ausgewählte Heilige als Skulptur dargestellt wurden, der Heilige Nikolaus, der Heilige Georg, die Heilige Paraskeva-Pjatnica. Die radikalen Reformen Peters des Großen führten zum aus dem Westen übernommenen Motiv von Christus in der Rast. Gerade der sitzende Christus wurde zu einem allerorts gegenwärtigen Bild, das in manchen Regionen drei Grundtypen folgte (dazu finden sich schematische Skizzen).
Prozessionen, Anbetungen, dadurch auch Bewahrung (zum Beispiel amüsant beschrieben von P.J.Krupnikov in „Männer in der Badestube“ - ganz viele „Jesusse“ sitzend im Keller eines Museums) pflegte die russische Bevölkerung „ihren“ Skulpturen entgegenzubringen. Besonders Nil Stolbenskij, „das russische Göttchen“, gehörte in allen Formen und Größen zum „Andachtsinventar“ russischer Häuser. Da gibt es einige sehr hübsche Exemplare zu betrachten.
Die Behauptung, viele Ikonen seien ausschließlich nördlicher Herkunft (aus waldreichem Gebiet) kann nach neueren Erkenntnissen nicht bestätigt werden. Es gab viele Zentren, in denen die Schnitzkunst weit gediehen war. Die Schlichtheit und –eben nur teilweise- schwache künstlerische Bearbeitung war für Peter den Großen Grund gewesen, gegen die Ikonen vorzugehen. Was in seiner Masse schwach war, brachte aber dennoch Höhepunkte hervor (die berühmteste Sammlung in Rußland, in Perm, verwahrt in diesem Buch kennenzulernende Schätze).
Für an Kirchenkunst interessierte Leser lohnt sich der Ausflug in dieses Buch. Natürlich – es verwundert, dass an manchen Stellen der wissenschaftliche Hintergrund, wie er zum Beispiel in dem Band „Die Weisheit baute ihr Haus“ (hg. von Karl Christian Felmy und Eva Haustein-Bartsch, Deutscher Kunstverlag 1999), so explizit vollzogen und vorgemacht wurde, fehlt. Einem Ausflug in die russische Literatur (Dostojewski! Tolstoj! Turgenjew!) weint man förmlich hinterher, wenn man an die Klischees zur russischen Volksfrömmigkeit denkt, und die Kennerschaft einiger deutscher Osteuropa-Historiker in Bezug auf Peter den Großen hätte in die Beiträge einbezogen werden müssen. Das hätte in einem Nebengleis dazu führen können, das Bilderverbot der reformierten Kirche genauer und richtiger zu explizieren (es gibt gar nicht mal so wenig gebildete Reformierte in Deutschland). Und doch: Dieses Buch eröffnet neue Welten. Man möchte es nicht missen.
29.7.2006


Mareille Herbst
Verbotene Bilder. Heiligenfiguren aus Rußland. Hrsg.: Stößl, Marianne. 300 S. 200 Abb., dav. 100 fb. 27 cm.; Ln Hirmer, München 2003. EUR 78,00
ISBN 3-7774-9680-4
 
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