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Sound Art

Das Motto der Kunstform Sound Art könnte "Expériences Musicales" heißen, so der Titel einer Schallplatte von Jean Dubuffet. In dieser Kunstform verbinden sich verschiedene künstlerische Disziplinen wie bildende Kunst, Literatur, Film und Musik neu, wobei ein Klangwerk im Zentrum steht. Diese Kunstform zielt auf eine Erweiterung akustischer Phänomene und sie versteht sich als eine neue Form künstlerischen Denkens, das herkömmliche Gattungsgrenzen überschreitet. Produktionsästhetisch gesehen handelt es sich um interdisziplinäres Arbeiten. Literaturfreunde werden an die Lautpoesie eines Ernst Jandl denken, Musikliebhaber an Neue Musik, alles Formen, die zur Sound Art gezählt werden, eine Ausdrucksform die schwer bestimmbar erscheint. Damit das Phänomen greifbarer wird, beschäftigte sich eine Internationale Tagung vom 30.9.-2.10.2005 im Neuen Museum Weserburg Bremen damit. Jetzt erscheinen deren Ergebnisse in einem Buch. Die Tagung war jedoch nur Teil eines größeren Projekts Sound Art, das vom 21.8.-27.11.2005 im Neuen Museum Weserburg in Bremen stattfand. Neben Konzerten und Filmen gab es auch einen Kunstmarkt, auf dem Sound Art Objekte erworben werden konnten. Ein Objekt war auch darunter, das einen Überblick über die Publikationen der Sound Art bietet, der Katalog zur Ausstellung Vinyl, der von Künstlern gestaltete Schallplatten und Cover zeigte und die 2006 noch in Barcelona gezeigt wurde, um dann ins Museu Serralves nach Porto zu reisen.

Ende der fünfziger Jahre, so der Sammler von Sound Art, Guy Schraenen, in seiner Einführung zum Katalog Vinyl, sei eine neue Form von Intermedia Kunst entstanden. In ihr käme ein radikaler Wandel von "Kunstwerken, Performances, Installationen, Happenings, Videoarbeiten, Künstlerfilme und Klangarbeiten" zum Ausdruck. Der Katalog zeigt hauptsächlich Arbeiten bildender Künstler im Bereich Sound seit den sechziger Jahren, dazu einige Beispiele von Klangarbeiten der inzwischen klassisch genannten Avantgarde-Bewegungen, musikalische Kreationen aus der konkreten Musik, der elektro-akustischen und repetetiven Musik auf Schallplatte, Audiokassette und CD. Eine Auswahl visueller Arbeiten zum Thema und eine Sammlung von Büchern und anderen Dokumenten vervollständigt Ausstellung und Katalog. Damit das Ganze verständlich wird, beginnt der Katalog mit einem Glossar. Auf dieses folgt die Diskographie, die chronologisch geordnet wurde. Der Index erlaubt es die verschiedenen Arbeiten einem Künstler zuzuordnen. Jedes Schallplattencover wurde auf der Seite außen abgebildet, daneben finden sich Angaben zum Künstler, der, unabhängig von seiner Profession, Autor genannt wird, zum Titel, dem Verleger, Erscheinungsdatum, Bezeichnung des Mediums, Künstler des Covers und Angaben zu den Aufführenden, die hier, alles in Englisch, performers genannt werden.

Der Katalog präsentiert eine beeindruckende Sammlung. Darunter etwa Multitalente wie Dieter Roth, der sowohl Text als auch Cover herstellte und dazu noch Arbeiten von Kollegen in seinem Verlag verlegte. Mit Gerhard Rühm ist ein Autorkomponistmaler unterwegs, während Jean Arp, der ja auch bildender Künstler ist, hier mit einer Lesung eigener Texte vorgestellt wird. Ein Titel von Ernst Jandl heißt "vom vom zum zum" und diesen Gedanken verfolgte man im Katalog, einem Kompendium, in dem es viel zu entdecken gibt. So erfährt man, dass sich in den 1980er Jahren einige bildende Künstler wie Attersee oder A.R.Penck zu "Free Music-Gruppen" formierten, einige Künstler wie Yves Klein sowohl Schallplatten aufnahmen als auch die Umschläge als Bildträger gestalteten, wieder andere Musiker baten Künstler um die Gestaltung des Covers. Auch wenn der Katalog, im Unterschied zur Ausstellung, die neben Bild und Texten auch Klänge präsentierte, auf zwei Dimensionen festgelegt ist, so wird der Reichtum dieser Ausdrucksform gut sichtbar, weil er optimal präsentiert wurde. In Zusammenarbeit mit Bettina Brach kommentiert Guy Schraenen verständlich und versah die Arbeit mit einer Bibliographie zu Übersichtswerken. Alles in allem, eine große Arbeit, ein schöner Katalog der Sammlung Schraenen.

Wer nun die Ausstellung nicht besucht, noch keine Sound Art gehört hat, für den ist mit dem Tagungsband, er enthält eine CD, auch gesorgt. So lädt Vladimir Majakowski mit "Hören Sie zu!" zu 42 Minuten Sound Art ein. Darauf etwa Raoul Hausmanns "Soundrel", Antonin Artaud steuert das berühmte Stück "Schluss mit dem Gottesgericht" bei und natürlich mit von der Partie ist Kurt Schwitters im Kreis seiner Kollegen.
Das wissenschaftliche Personal stellte sich in vier Sektionen, einer Mischung von Theorie und Empirie, auf. Zu den Schnittstellen von Visuellem und Akustischen der klassischen Avantgarde der 1910er Jahre berichten Julia Kursell und Martin Maurach. Ihnen folgen Beiträge von Heidi Grundmann, Wolfgang Hagen und Sabine Breitsameter zur Radiokunst, der Intermedialität als Programm sind Barbara Barthelmes und Peter Frank auf der Spur, der dritte Autor, Sten Hanson, ist ein Soundart-Künstler. Klangereignisse im Schnittpunkt von Kunst und Kino bespielt Barbara Fückinger und Daniel Gethmann wendet sich der Ästhetik des Signals zu. Angedockt wurden die vier Stationen durch einleitende Beiträge von Sabine Breitsameter, Winfried Pauleit, Anne Thurmann-Jajes und Barbara Barthelmes.

Dass Tagungen, auch für Fachfremde, interessant gestaltet werden können, zeigen alle Textbeiträge, die zweisprachig, auch in Englisch, publiziert wurden. Wie wissenschaftlich üblich, am Anfang stehen Fragen zur Begrifflichkeit. "Notorisch unscharf" nennt die Projektdirektorin Thurmann-Jajes den Begriff Sound Art, Synonyme dafür auch Klangkunst, Akustische Kunst oder Audio Art. Der rege Grenzverkehr der Gattungen, da sind sich die Beiträger einig, läßt sich wohl kaum auf einen Nenner bringen. Das wird im Beitrag von Barbara Barthelmes deutlich, die Fragen zur Theorie der Sound Art und zur Konzeption musikwissenschaftlicher Forschungen stellt.

Relativ gut in Text und Ton dokumentiert sind die Klangexperimente der klassischen Avantgarde. Noch einmal machen die Beiträge von Julia Kursell und Martin Maurach deutlich, bei Kurt Schwitters und den Kollegen von der Fraktion der Klangexperimentatoren steht im gesprochenen Wort nicht die Semantik, sondern die Akustik im Zentrum. Einige Künstler wiederum gingen noch weiter und setzten die Worte ästhetisch als visuelle Poesie um. Dabei ergeben sich Unterschiede im semiotischen Verfahren. Geschickt wurde im Katalog durch Gegenüberstellung der Ansätze von Raoul Hausmann und Kurt Schwitters in einer Abbildung deren unterschiedliche Methode deutlich.

Mit dem Medium Radio beschäftigen sich drei Beiträge. Zunächst skizziert Sabine Breitsameter die Entwicklung des Radios und zeigt, dass sich beim Radio das Prinzip Broadcast als monodirektionale und lineare Kommunikationsstruktur durchsetzte. Das wiederum rief einige Künstler auf den Plan, die, unterstützt vom neuen Medium Internet, an neuen Kommunikationsformen arbeiten. In einem weiteren Beitrag beschäftigt sich Daniel Gethmann mit der Umwandlung von Klang in Bild und das geht nicht ohne Naturwissenschaft und nicht ohne den Begründer der experimentellen Akustik, Ernst Florens Friedrich Cladni (1756-1827). Er entdeckte die nach ihm benannten chladnischen Klangfiguren. Er erzeugte Töne, die sich als sichtbare Linien mit interessanten Symmetrien niederschlugen. Auch spannend, der Beitrag von Wolfgang Hagen zu Antonin Artauds "Serialisierung des Radios". Darin behandelt der Beiträger Artauds Stück "Schluss mit dem Gottesgericht", das für das Radio produziert, aber zu Lebzeiten Artauds nicht gesendet wurde, jedoch für nachfolgende Künstler der Musique Concrète von großer Bedeutung war.

Soweit die Beiträge sich historisch mit der Empirie der Sound Art befassen, überzeugen die Texte, da gut nachvollziehbar. Etwas schwieriger wird es in den theoretischen Teilen, die sich mit dem Phänomen Intermedialität beschäftigen. So bezieht sich Peter Frank stark auf das theoretische Modell von Intermedialität von Dick Higgins. Einem Fachpublikum ist dies geläufig, für ein allgemeines Publikum wäre der Hinweis angebracht, dass es noch weitere theoretische Zugänge zum Phänomen der Intermedialität gibt. So ordnet Jens Schröter in einem Statement zu einer Theorie der Medien den Ansatz von Dick Higgins dem Typ "synthetische Intermedialität" zu. Wie auch immer, wie die Phänomene, so auch die Theorie, nicht nur die Sound Art, sondern auch Theorien der Intermedialität sind ständig Veränderungen unterworfen. Es wäre hilfreich gewesen, die Anregung von Schraenen im Glossar, der dort erste Versuche einer Systematisierung der Sound Art Phänomene unternahm, aufzunehmen und mit einer Typologie zu beginnen. Was nicht ist, kann jedoch noch werden, am besten wieder mit einer Ausstellung und Tagung im Neuen Museum Weserburg Bremen und einer Publikation im Salon Verlag.
18.6.2007

Schraenen, Guy: Vinyl. Records and Covery by Artists A Survey. Photograph: Brach, Bettina. 271 S., 985 fb. Abb., 27 x 19 cm. Pb. Neuen Museum Weserburg, Bremen 2005. EUR 26,- ISBN 3-928761-68-4





Sigrid Gaisreiter
Sound Art. Zwischen Avantgarde und Popkultur Schriftenreihe für Künstlerpublikationen Band 3. Dtsch, Engl. mit CD, 240 S., 42 Abb., dav. 6 fb. 16,5 x 23,5 cm, Gb., Salon Verlag, Köln 2006. EUR 25,00
ISBN 3-89770-259-2   [Salon Verlag]
 
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