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Das echte Bild - Bildfragen als Glaubensfragen

Die Religionsgeschichte lebt von „falschen“ Bildern. Die frühe Gemeinde, als eine Gemeinschaft der Eingeweihten, bedurfte keiner Abbilder Christi, diese wären eher verräterisch geworden. Und als Christusbilder dann verehrungswürdig wurden, stellten sie für das spätantike Rezeptionsvermögen eine starke Herausforderung dar: Sie standen im Gegensatz zu den bekannten antiken Göttern in ihrer völlig irdischen, auch sinnenfreudigen Körperlichkeit, und sie waren auch keine Bilder eines sterblichen Toten, der seinen Körper verloren hatte. Also repräsentierten sie einen bis dahin ungekannten Widerspruch (wie Belting auf S. 49 schreibt), mehr noch, sie stellten den Gläubigen auf die Probe.
Dagegen hat das „autographe Bild“ (Belting), also das von Körper oder Gesicht berührte Tuch, offenbar von Anfang an den Charakter des „echten“ Bildes besessen und, es hat ihn bis heute bewahrt: unbezweifelbar und heilswirksam. Diese nicht von Menschenhand gemachte Körperspur ging auf die Bilder der Ostkirche über, die im Verständnis der Gläubigen allenfalls durch eine mechanische Übertragung entstanden waren oder durch himmlische Intervention selbst.

Hans Belting beruft – in Fortführung seiner „Bild-Anthropologie“ – erneut die drei Parameter seiner Bildwissenschaft: Bild, Körper und Medium. In diesem Fall spielen das Gesicht, die Maske und das digitale Bild diese drei Rollen, wobei der Erörterung der Kongruenz von Maske und Gesicht (im antiken Griechenland) und deren strenge Zweiteilung, das „Hindurchtönen“ (per-sonare) des wahren Gesichtes (bei den Römern) zu jenen Partien des Buches gehören, die die Beschäftigung mit dem Thema initiiert und begleitet haben. War es doch ein Maskenbuch, das für Belting den Anstoß gab. Die digitale Welt wird als Ersatz für den christlichen Himmel beschworen. Vielleicht ist sie nicht dessen Stellvertreterin geworden, wohl aber Vertreterin und konfliktfreier Raum sonst frustrationsbeladener Alltagserfahrungen, aus der sich ausklinken kann, wer in sie abtaucht. Sie eröffnet zunächst eine Flucht- und Nebenwelt, die einer säkularen Gesellschaft zudem vielleicht glaublicher ist, als die Jenseitserwartung oder, Günther Anders zitierend, „Der Mensch versucht seiner Einmaligkeit zu entfliehen.“ Belting stützt seine Untersuchung auf drei Umbruchphasen: Das frühchristliche Bild, den byzantinischen Bilderstreit und die protestantische Bildreform und Bildsatire. Das Turiner Grabtuch ist für ihn kein Bild mehr, sondern Beweisstück. Ob es Beweiskraft hat, darüber entscheidet die Naturwissenschaft, „die inzwischen die erste Adresse unseres Glaubens geworden ist.“ (S. 67) Dabei ist es gerade die Technik gewesen, die uns auch dieses Bild zugänglich gemacht hat, durch eine Photographie des Jahres 1897. Sophies Bruder Hans Scholl konnte an Otl Aicher noch ungebrochen von der „zweiten Auferstehung“ Christi für das 20. Jahrhundert schreiben, weil die Photographie aus dem Abdruck oder Negativ, den das Tuch bewahrt, zum ersten Mal ein Positiv machte. Hans Belting deutet das Tuch in zwei getrennten Richtungen, als Reliquie und als Photographie.

Belting charakterisiert den Bildersturm zum Zeitpunkt seines Auftretens als längst anachronistisch. (S. 175ff.) Wegweisend wird von der Reformation vielmehr, daß prinzipiell jedermann nun reproduzierte Bilder verbreiten, aber auch vernichten kann. Die Bilderflut wird geboren. Auch die Bildpolemik erreicht einen ersten Höhepunkt. Das Porträt wird zum modernen Propagandainstrument. All das hält bis heute an.
Wie hatte Belting doch eingangs geschrieben ? Und „doch ist die große Masse dem alten Bilderglauben stärker den je ausgeliefert.“ (S. 29) Er wird geschürt durch die Erwartung, daß authentische Bilder uns echte Informationen liefern.

8.8.2007
Jörg Deuter
Hans Belting. Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. 240 S., 29 fb., und 56 sw Abb., Gb. C.H. Beck, München 2005. EUR 29,90
ISBN 3-406-53460-0   [C. H. Beck]
 
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