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Neue Abstraktion – Zum Werk von Frances Scholz

In der großen zweiteiligen Ausstellung „abstract art now“ mit den Sektionen „strictly geometrical“ und „floating forms“ des Wilhelm-Hack-Museums von 2006 fehlte die Malerei der in Washington DC 1962 geborenen Künstlerin Frances Scholz, vielleicht auch deshalb, weil ihre Kunst sich schwer einer der beiden Richtungen zuordnen lässt, ja, sie verbindet beides, geometrische mit fließenden Formen, die sich häufig überlappen. Vertreten von großen namhaften Galerien wie Fahnemann oder Tony Wuethrich entstand jetzt, herausgegeben von den Galeristinnen Monika Sprüth und Philomene Magers, ein Katalog im Publikumsverlag DuMont. Mit Nachdruck wird das Werk der Künstlerin der Jahre 1999 bis 2006 vorgestellt. Frances Scholz, die bei Kuno Gonschior studierte, ist auch im Bereich Film unterwegs. Das Motto eines Films von 2006 „Ich geb der Welt die Abstraktion zurück“ fungiert als Titel der vorliegenden Publikation, deren Umschlag eines ihrer Werke, „You better stay upstairs“, ebenfalls von 2006, ziert und auf das schwarze Kreuz von Kasimir Malewitsch von 1920 anspielt.

Frances Scholz bricht in diesem Werk mit den über die ganze Leinwand verteilten blauen Kreuzen den starren Charakter des schwarzen Kreuzes auf und situiert es durch Auflösung von dessen Gefüge neu im Bildraum. Anders als beim Kreuz von Malewitsch wird bei Scholz die Malgeste sichtbar und das Kreuz aus seiner streng geometrischen Form gelöst. Zur Auseinandersetzung der Künstlerin mit den Traditionen der abstrakten Malerei erfährt man jedoch wenig in den drei Eingangstexten. Der erste, von Catrin Lorch (*1965), bewegt sich noch relativ nah am Werk von Scholz und befasst sich mit dem, der Publikation titelgebenden, Film und einer Stahl-Holz-Konstruktion von 2004 mit dem Titel „Baumhaus“. Postmodern geht es weiter beim Autor zahlreicher philosophisch-experimenteller Science-Fiction, Mark von Schlegell (*1967), der keinen Sachbuch-Text, sondern ein Stück erzählender Literatur beisteuert. In der mit „Das Museum unfertiger Kunst“ betitelten Prosa dreht sich alles um das Ausstellen von Kunstwerken. Auch selbstreferentiell geht der Philosoph Marcus Steinweg (*1971) in das „Sehen des Unsichtbaren“ zu Werke. Der Bezug des Textes ergibt sich nur indirekt über die Zueignung des Textes „Für Frances“ als Zweitverwertung einer Arbeit des Philosophen mit der Künstlerin Rosemarie Trockel aus 2007 mit dem Titel „Duras“. Im Katalog beginnt der Text von Steinweg mit dem Hinweis auf ein Treffen der Schriftstellerin Marguerite Duras mit dem Künstler Francis Bacon 1971 in Paris, um dann die Heroen der Postmoderne, Jacques Derrida, Jacques Lacan, Gilles Deleuze und Martin Heidegger aufzurufen. Vielfach in der Sekundärliteratur zur Postmoderne erörtert, kehrt Steinweg nochmals zu Martin Heideggers „Kehre“ und „katastrophé“ zurück, auch das Dispositiv darf ebenso wenig fehlen wie die Frage nach dem Subjekt. Auch Bekanntes zu Derridas Definition vom Paradox der Blindheit, führt nicht weiter, sondern zu bekannten Wortkaskaden. Also öffnet sich die Malerei bei Steinweg dann „der Erfahrung der katastrophischen Erblindung nicht, um sich der Katastrophe zu opfern. Sie tut es, um ihr zu entrinnen, indem sie in sich ein gesteigertes Sehen zurückbehält.“ Das nennt Steinweg dann das „Sehen des Unsichtbaren“.

Lässt man die kryptischen Texte beiseite und konzentriert sich aufs Schauen der radikalen Malerei von Frances Scholz, so besticht ihre Kunst vor allem dadurch, dass sie die malerischen Möglichkeiten auslotend in Farb- und Formuntersuchungen Bilder mit enormer Leuchtkraft schuf, die hervorragend reproduziert wurden. Als Allesdurchdringung interferiert Geometrie mit dem Fließenden und erzeugt eine gleitende Schwerelosigkeit, die, in einem Geflecht von Verweisen und Referenzen auf Kunstgeschichte und äußere Welt, herkömmliche Grenzen von Abstraktion und Realismus ebenso auflöst wie die Grenzen des konventionellen Tafelbildes. Besonders im Zyklus „Meeting Stanislaus“ (2001-2003) und in der Arbeit „Porenbau“ von 1999 wird der umgebende Raum integraler Bestandteil des Werks.

Der Katalog versammelt mehrere Werkgruppen, so auch Installationen, Zeichnungen und Videoprojektionen. Zwar gibt Scholz der Welt die Abstraktion nicht zurück, aber sie fügt ihr ein neues, bedeutendes, Kapitel hinzu. Zweifellos ist Malewitsch, wie auch im anspielungsreichen Titel „You better stay upstairs“ deutlich wird, oben angekommen. Dass auch Scholz sich einen Platz oben erobert hat, steht auch außer Zweifel. Subtrahierend in vielfältigen Schichtungen von Farb- und Formverläufen generiert sie ein großes +.

30.12.2009


Sigrid Gaisreiter
Frances Scholz. Hrsg. Monika Sprüth / Philomene Magers 176 S., 63 fb. Abb., Gb., DuMont, Köln 2008. EUR 29,90
ISBN 978-3-8321-9028-6
 
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