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Berliner Lektionen zum Kult des Künstlers

Als mythische Figur des ‚Abendlandes‘ verehrt, wird der Künstler in immer neue Formen, als Prometheus, Prophet, Genie oder Übermensch gepresst. Legenden des Künstlers gibt es also genug, die Kritik dieser kultisch verehrten Figur begann mit den Avantgarde-Bewegungen des 20. Jahrhunderts und erreichte, unterstützt von Roland Barthes „Tod des Autors“, seit den 1960er Jahren auch den Kunstbereich. Das neue Zauberwort hieß „Dekonstruktion“, die gesellschaftliche Erwartungen an die Figur des Künstlers zur Debatte stellte. Das Thema ist aktuell und eignet sich, ob seiner Materialfülle, für einen mehrteiligen Ausstellungszyklus, mit dem sich der Direktor der Nationalgalerie und Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin von diesen Position verabschiedet. Die zusammengewürfelte zehnteilige, auf fünf Berliner Museen verteilte, Ausstellungszyklus, kennt eine Überblicksausstellung „Unsterblich! Der Kult des Künstlers“ und er begann im Kupferstichkabinett (23.11.2008-24.2.2009) mit der Ausstellung „Disegno – Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit“. Diese Ausstellung wird von einem, von Hein-Th. Schulze-Altcappenberg und Michael Thimann, Katalog begleitet, der, wie auch der Katalog zur Ausstellung in der Alten Nationalgalerie, „Im Tempel der Kunst“ (1.8.2008-18.1.2009) im Deutschen Kunstverlag erschien.

Die Kunst der Zeichnung in Italien: Disegno

Abgesehen davon, dass Vasari mit dem in seinen „Viten“ erarbeiteten „Who is Who“ der italienischen Renaissance, das 159 Biographien von Künstlern, die vom 14. bis 16. Jahrhundert lebten, zum Vater der modernen Kunstgeschichte avancierte, erklärt er die Zeichnung zur Grundlage aller Künste. Das Zeichnen, so Michael Thimann im Katalog „Disegno“, wurde durch Vasari „für die Geschichte der Wissenschaft zugänglich“. Der Bildproduktion werde damit, so Thimann weiter, zu „intellektueller Dignität“ verholfen. Vasari habe den Begriff des disegno zweifach verwendet, als intellektuelle Hervorbringung und materielle Zeichnung. In dem sehr informativen Katalogtext stellt Thimann deutlich den Bruch im Denken in der Frühen Neuzeit, als Ablösung von der platonischen Ideenlehre und metaphysischer Spekulation, heraus, da mit ihm die Ideen, der geistige Entwurf, ins Individuum verlegt werde. Vor Vasari allerdings gab es, mit Leonardo da Vinci und Leon Battista Alberti in „De Pictura“, Vorarbeiter, die den Primat der Zeichnung erklärten, der ein ästhetischer Eigenwert zukomme. Das disegno wurde mit diesen Interventionen zum „Zentralbegriff der italienischen Kunsttheorie“ ausgebaut.

Dass der Ausstellungszyklus zum Kult des Künstlers mit dieser Ausstellung „Disegno – Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit“ beginnt, ist ein Glück für alle Kunstinteressenten, zeigt doch das im Zentrum der Ausstellung stehende Bild „Große Ansicht von Florenz“, entstanden zwischen 1500 und 1510, zum ersten Mal in der Kunstgeschichte den Zeichner selbst im Bild. Man muss schon genau hinsehen, in dieser Begründung des neuen Themas, „Künstler in der Landschaft“, recht klein unten rechts im Bild sitzt der Künstler in diesem Gemälde, der „ersten modernen Geschichte einer Stadt“, die, durch die gewählte Perspektive, nicht die sichtbare, sondern eine denkbare Realität, darstellt. In mehreren Sektionen, beginnend mit Federico Zuccaris (1529-1566) gezeichneter Künstlerbiographie, wird eine neue Bildgattung vorgestellt, in der sich die Künstler über ihr eigenes Handeln Rechenschaft ablegen. Im Katalog werden verschiedene Sujets vorgestellt: 1) Künstler in antikisierender Umgebung, 2) in der Natur, 3) mit gezeichneten Händen und Zeicheninstrumenten, 4) in Studio, Atelier und allegorisch und in der Akademie, deren erste Institutionalisierung in der „Accademia del Disegno“ unmittelbar mit der Aufwertung der Zeichnung verknüpft ist. In den Textbeiträgen im ersten Teil des Katalogs wird ausführlich auf die Zeichnung im System der Künste, im Gefüge der künstlerischen Ausbildung und als Schrittmacher wissenschaftlicher Erkenntnis eingegangen. Gut verständlich von Thimann wurde auch jener Zusammenhang herausgearbeitet, der im Fortgang der Kunst bedeutsam werden sollte, dass der neue Künstlertyp, als gelehrter Antiquar bezeichnet, sich nicht mehr mit naturwahrer Abbildung (contrefare) begnügte, sondern darüber hinausgehend, seine Phantasie spielen ließ.

Im Tempel der Kunst – Die deutsche Perspektive

Eine legendäre Ausstellung, die Hugo von Tschudi 1906 in der Alten Nationalgalerie einrichtete, nimmt die Ausstellung „Im Tempel der Kunst“ zum Anlass, die Künstlermythen der Deutschen vorzustellen. Der Ort ist trefflich gewählt, galt die Ausstellung von 1906 doch der Kanonisierung der Kunst des 19.Jahrhunderts wie überhaupt, so Peter-Klaus Schuster im Vorwort zum Katalog, die Alte Nationalgalerie damals als jene Institution galt, die festlegte, was Kunst sei und was Kunst zu sein habe. Der Kunst dieser Zeit kam zudem die Aufgabe zu, den Deutschen zu zeigen, wer sie seien. Aber nicht dieses Element steht im Vordergrund der aktuellen Ausstellung, sondern die mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts, Stichwort hierzu lauten Verbürgerlichung, Entstehung eines Kunstmarkts, Autonomie der Künste, einhergehende Veränderung des Status‘ des Künstlers und der komplizierter werdenden Lebensbedingungen. Auf die Änderung der objektiven Bedingungen antworteten viele Künstler mit eigenen Werken, in denen sie ihre verschieden aufgefassten Rollen in verschiedenen Bildtypen, Selbstporträt, Freundschaftsbilder oder Atelierdarstellungen in unterschiedlichen Sichtweisen, das Spektrum reicht vom Pathos bis zur Selbstironie, thematisierten. Da alte Strukturen zerfielen wuchs neuen Formen sozialer Gebilde, etwa Künstlergruppen, eine große Bedeutung zu. Diesen Aspekten widmet sich der Katalog, den Bernhard Maaz herausgab, nach einer umfänglichen Einleitung, in vier Abteilungen: 1) Themen und Topoi – Der Künstler als Sozium und Individuum, 2) Künstlernetzwerke und Bezugspunkte, Der Künstler im System der Kunst, 3) Einsamkeiten und individuelle Wege, 4) Künstlerfürsten und Selbststilisierungen – Extrovertierte Rollen.

Das Generalthema dieses Teils des Ausstellungszyklus intoniert der Herausgeber in einem längeren, sehr informativen Text, der die verschiedenen Künstlerrollen und Topoi gekonnt auffächert. Der Künstler, eingespannt zwischen Streben nach Ruhm, sozialer Anerkennung und Lebenswirklichkeit, eigener Lebensleistung und Selbstbild kann dabei verschiedene Rollen einnehmen. Das Spektrum, das auf verschiedenen Ebenen angesiedelt ist, reicht vom Dandy, Flaneur, Höfling, Beamten, Literaten, Sammler, Gelehrten, Bohemien, Anarchisten, Ingenieur, Handwerker, Genie, Priester, Propheten und Melancholiker. So stellt der Handwerker Fleiß über Invention, der Prophet ist seiner Zeit voraus und der Priester inszeniert die Kunst als göttliche Welt. Akribisch wird diesen Verästelungen in allen Beiträgen des Katalogs ebenso nachgegangen, wie Veränderungen in der Auffassung von Kunst. Galt im ausgehenden 18. Jahrhundert die Inventio, also Erfindergeist, als wichtigstes Kriterium der Kunst, so veränderte sich dies im Zuge der Industrialisierung, die eine Aufwertung der handwerklichen Ethos mit sich brachte. Nicht nur Veränderungen in den Vorstellungen von Kunst werden im Katalog angesprochen, sondern auch Veränderungen im institutionellen Zuschnitt. Der Künstler, daran lässt Maaz keinen Zweifel, musste sich in einem hochkomplexen System von Auftraggebern, Instanzen, Institutionen und Konkurrenzen, bar jedes juristischen oder urheberrechtlichen Schutzes, zurechtfinden. Insgesamt wird aber den objektiven Bedingungen in den Textbeiträgen zu wenig nachgegangen. Von einer in Ansätzen erkennbaren Sozialgeschichte der Kunst kann nicht gesprochen werden, obwohl, das ist sozialwissenschaftlicher Standard, Rahmenbedingungen Handlungskorridore limitieren. Der Reiz der Beiträge, deren Themen durch zahlreiche Abbildungen veranschaulicht werden, liegt im Kunstwissenschaftlichen. Vorgestellt werden verschiedene Bildtypen, Bildmotive wie etwa die Bezugnahme von Künstlern auf den Prometheus-Mythos. Das Spektrum der behandelten Topoi, die Maaz anführt, ist groß: Entfaltung und Verkennung, Entbehrung und Verbergung, Widerstand, Zurücksetzung. Selbstbefreiung, Armut, Konformität, Hoffnung, Krisen, Entscheidungen, Scheitern, Musen und unbotmäßige Amouren in Adolph Menzels Zyklus „Erdenwallen“. Das 19. Jahrhundert, so Maaz weiter, halte, trotz der Bekanntheit dieser Topoi aus der Antike und Renaissance, die zentrale Aspekte des künstlerischen Schaffens aufnehmen, eine „außerordentlichen Fülle von Schicksalen“ bereit, die diese Mythen aktualisierten.

Maaz entwirft gekonnt eine Szenerie von Leben und Arbeiten des Künstlers im 19. Jahrhundert und spricht wichtige Aspekte, etwa den Ausbildungsgang der Künstler oder deren Arbeitsorte (Atelier) an. Interessant etwa auch der Hinweis, dass, je bekannter ein Künstler gewesen sei, nach dessen Tod dessen Atelier zur „Pilgerstätte“ wurde. Zudem werden Fälle behandelt, in denen wesentliche Teile von dessen Nachlass in Museen wanderten oder gar, wie im Falle von Auguste Rodin oder Gustave Moreau, das gesamte Ensemble aus Wohnung und Atelier musealisiert wurden. Die weiteren Beiträge beschäftigen sich detaillierter mit den von Maaz angesprochenen Aspekten. So gibt es eigene Beiträge zu Akademien, Ateliers, zur Künstlerausbildung oder zum Selbstbild des Künstlers. Von Max Beckmann ist bekannt, dass er viele Selbstportraits anfertigte, doch auch Anton Graff (1763-1813) gehört in diese Reihe, ergänzt um Künstlerbildnisse von Malern um Anton Graff. Es geht weiter mit den Nazarenern, mit Bildern die dem Wettstreit der Künste, „Musik im Bild“, „Dichter und Dichtung im Bild“ gewidmet sind. Sehr informativ ist auch der Beitrag von Anne Schulten zum Thema „Mythen und Legenden. Vom Ursprung der Kunst“ und Katharina Wippermann, die zu Formen der Künstlerverehrung im 19. Jahrhundert arbeitete. Eine davon war das Zitat und die Paraphrase durch nachgeborene Künstler wie Johann Andreas Engelhardt mit seinem Gemälde „Dürer im Atelier“. Auch einer der heutigen ‚Stars‘ der Kunstszene, Jonathan Meese, versucht in einem Selbstporträt sich als moderner Dürer zu präsentieren.

Noch weitere, sehr informative und verständlich geschriebene Beiträge befassen sich mit Freundschaftsbildern, dem Schreiben über Kunst oder Atelierbildern. Diese Beiträge gehören zum zweiten Kapitel, das mit „Künstlernetzwerke und Bezugspunkte - Der Künstler im System der Kunst“ überschrieben ist. Es folgen noch mit dem dritten Teil Ausführungen zu „Einsamkeiten und individuelle Wege“ und ganz zum Schluss werden „Künstlerfürsten und Selbststilisierungen“ vorgestellt. Im Gegensatz zu den im dritten Teil behandelten Künstlern, haben diese Künstler ein extrovertiertes Rollenverständnis. Ganz herrlich liest sich, wieder von Maaz, dessen Abhandlung zu Franz von Lenbach (1836-1904). Lenbach, so Maaz, bekannte selbst, er habe keine Phantasie und – so der Autor weiter - „er brauchte sie auch kaum,“ verfügte er doch über ein hinreichendes Netzwerk, das ihm ein gutes Auskommen ermöglichte, ja, die Dargestellten wurden durch ein Portrait von Lenbach sozial nobilitiert. Lenbach, der die künstlerischen Mittel souverän beherrschte, wurde vom „Maler der Fürsten“ zum „Fürsten der Maler“. Mit den Künstlergemeinschaften Blauer Reiter und Brücke, die gegen Ende des sogenannten „langen“ 19. Jahrhunderts, das mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 endete, betritt auch ein neuer Künstlertypus, der aus herkömmlichen Bindungen entlassene Künstler, die Bühne. Damit war der Weg bereitet, um auf den Spuren Lenbachs, zu wandeln und dessen Selbstinszenierungen zu überbieten. Dies werden dann Andy Warhol und ein wenig später Jeff Koons tun.

Verwandlungskünstler

Der Zyklus bietet eine noch nicht gesehene Vielfalt zur Selbst- und Fremdstilisierung von Künstlerexistenzen, indes, es bleiben viele Fragen offen. Um die Besonderheit der Künstlerexistenz herauszuarbeiten, hätte es einer genaueren theoretischen Fassung von Norm / Regel und Abweichung und zur Künstlersoziologie bedurft, als in den Beiträgen angesprochen. Zudem wird der den Ausstellungszyklus tragende Künstlerbegriff ahistorisch verwendet und als „eine der Konstanten des Kunstbetriebs angelegt. Die letzte Abteilung im Ausstellungszyklus befasst sich mit Tendenzen der Selbstverkultung am Beispiel von Jeff Koons (Katalog; Hatje-Cantz), Joseph Beuys (Katalog: Steidl) und Andy Warhol (Katalog: Dumont). Aber das ist dann schon eine Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts.

Die Kataloge beim Deutschen Kunstverlag ergänzen sich trefflich. Der Kunstliterat Giorgio Vasari wertet die Zeichnung auf und liefert mit und in seinen „Viten“ die Vorlage für die Kunstbeschreibungen des Joachim von Sandrart (1606-1688) in dessen „Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste“. Beide Werke gelten, trotz der Mischung aus Fakten und Fiktionen, als Quellentexte der Kunstgeschichtsschreibung zur Kunst der Frühen Neuzeit und werden in beiden Katalogen häufig zitiert. Wie aktuell das Thema der Ausstellung ist, zeigt sich auch an der Neuedition beider Großwerke. Sandrarts Werk wird als Online-Edition erscheinen, das Projekt, die „Viten“ in Buchform zugänglich zu machen, übernahm der Verlag Klaus Wagenbach. Zwar bleiben in der Gegenwartskunst Andy Warhol und Jeff Koons in puncto Selbstinszenierung Größen, große Normbrecher finden sich allerdings schon in der Renaissance, wie die Auskopplung aus Vasaris „Viten“, eine Zusammenstellung der verrücktesten Künstlergeschichten, zeigt, die unter dem sprechenden Titel „Jeder nach seinem Kopf“ erschienen.

Hein-Th. Schulze Altcappenberg / Michael Thimann (Hrsg.) (2008) Disegno. Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit. kart., 200 S., 108 farbige und 37 s/ w Abb., 1 farbige Klapptafel, 22 x 28 cm. € 29,90 Deutscher Kunstverlag. ISBN: 978-3-422-06774-5 Bild
19.5.2009

Sigrid Gaisreiter
Im Tempel der Kunst. Die Künstlermythen der Deutschen. Beitr. v. Kinzel, Sarah /Maaz, Bernhard /Schulten, Anne /Schuster, Peter K /Verwiebe, Birgit /Wesenberg, Angelika /Wippermann, Katharina. Hrsg.: Maaz, Bernhard /Staatliche Museen zu Berlin Nationalgalerie. 2008.132 S., 144 fb. Abb. 29,5 x 24,5 cm. Pb EUR29,90
ISBN 3-422-06853-8
 
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