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Looking Pictures

Ja, beinahe scheint es, als sehe man die Dinge zum ersten Mal, wenn man vor einer Fotografie Christopher Mullers steht. Der 1966 in Stade geborene und in London aufgewachsene Muller zeigt seit Anfang der neunziger Jahre lebensgroße Alltagsgegenstände, nicht mehr, doch vor weißem Hintergrund fotografisch inszeniert entwickeln die Dinge einen unsagbaren Reiz. Stühle, Lampenschirme, Papierkörbe, Schaufel, Besen, Baseballmütze, alles steht akkurat da – und will bestaunt werden.

Mullers Fotografien zwingen, ganz genau hinzusehen. Das schöne Ergebnis: Die Dinge sind oft netter anzuschauen, als man glaubt. Wunderbar: ein violetter Mülleimer! Und was dem Künstler noch alles zum Sujet taugt: Wasserkocher, Tassen, ein Blick in die Küche mit Spülbecken. Oft war von der „Qualität des Objektiven“ im Zusammenhang mit Mullers Fotokunst die Reche – und es stimmt: Beim Betrachten dieser Dinge werden wir uns ihrer Form, ihrer Farbe, ihrer Materialität erst wirklich bewusst.

Was sagt uns diese Stillleben-Kunst, die nun in einem schönen Katalogbuch vorgestellt wird? Sie erzählt von den Reizen des Banalen, von der Schönheit eines Alltagsgegenstandes, wenn alles andere bereits fotografiert worden ist. In gewisser Weise ist die Fotografie des in Düsseldorf lebenden Künstlers ein Eingeständnis, ein ganz ehrliches sogar: Es gibt nichts mehr Besonderes zu fotografieren.

Es ist nicht so sehr das Einzelbild, das hier fasziniert, es ist die immerwährende Befragung
des Mediums, die überzeugt. In der aufwändigen Inszenierung der fotografischen Diasecs, Muller komponiert seine großen Stillleben sehr akribisch, in der illusionistischen Lebensgröße der Dinge liegt ihre Präsenz, sie „scheinen von realer Gegenwart“ wie Stefan Gronert einmal geschrieben hat.

Gronert hat auch darauf hingewiesen, dass Mullers Fotokunst nicht hierarchisch sei. Tatsächlich ist es beinahe gleich, was Muller fotografiert. Ob Zahnbürsten oder WC-Reiniger, Stühle oder Tische, Flaschen, Lampen oder Körbe. Es kommt ausschließlich auf das wie an. „Die relative Einfachheit der Form eines Gegenstands ermöglicht es, klare formale Korrespondenzen auszumachen, und da dem Gegenstand symbolische Bedeutung abgeht, hat der Betrachter eine um so größere Freiheit, eigene Assoziationen zu entwickeln“, schreibt der Künstler selbst.

Seit über zwanzig Jahren entwickelt Muller in seinem Atelier immer neue, gleichmäßig ausgeleuchtete Ding-Konstellationen, fertigt in Vorarbeit Zeichnungen – und man kann in dem Buch gut verfolgen, wie sich seine Szenerien von vormals statischen Reihungen zu komplexen Bildräumen verändert haben. Die Publikation zeigt neben Zeichnungen auch neue Werkgruppen von Landschaften und Collagen.

09.05.2011
Marc Peschke
Kröner, Magdalena; Müller-Schareck, Maria. Christopher Muller. Looking Pictures. Hrsg.: Muller, Christopher. 192 S. 145 fb. Abb. 24 x 30 cm. Pb. Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2010. EUR 38,00.
ISBN 978-3-86984-182-3
 
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