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Venedig im Winter

Die erste zufällig aufgeschlagene Seite (95). Da war er wieder, der lange vergessene eigene Blick, hier genauso fotografiert wie erinnert. Über die überquellenden Büchertische der Libreria Alta Acqua (Buchhandlung Hochwasser) hin zu dem dort unerwartet unter dem (zweiten) Türeingang vorbeifließenden Kanal. Ein fortan nur schwer zu reduzierender Sympathiebonus für ein Buch, das den uneiligen Zeitgenossen fordert. Der ahnte, daß es hinter der venezianischen Realität aus achtstöckig anlegenden Kreuzfahrtschiffen, Ansichtskarten und kunsthistorischer Semantik noch eine andere Stadt gibt, geben müsse, das Venedig der Venezianer. Immer aber zugleich, wie auch hier, individuell erträumtes Idealbild. Nur in den einführenden Fotografien im vermuteten jahreszeitadäquaten Schwarz-Weiß gehalten, sonst überraschend farbig. Mit eingestreut motivisch-atmosphärisch korrespondierenden kurz-prägnanten Texten berühmter und weniger bekannter Venedig-Besucher. Texte, die sich mit den Fotografien zu einem Zweiklang verbinden auf den das Echo eigener Erinnerungen leise oder laut antworten kann.

Womit nun immer noch nicht gesagt ist, was den Leser in diesem Buch erwartet. Der Rat es doch zu kaufen wäre an dieser Stelle etwas voreilig und der Schluß dieser Rezension vorweggenommen. Denn noch liegt ein Geh-Weg durch dieses Buch vor uns; zurück werden wir in einer Gondel fahren. Und auf diesem Weg zeigt sich eine herbstvernebelt feucht-nasse, winterverfrorene, weihnachtlich-lichterglänzende, oft morgendlich oder nächtlich-stille Stadt mit all ihren bekannten Orten: Dogenpalast, Piazza San Marco, Caffe Florian, Seufzer -und Rialtobrücke mit dem dort noch (vom Verlegen bedrohten) nahen Fischmarkt, Canale Grande, die fotografisch obligat gewordene (weil letzte) Gondelwerft Venedigs. Nichts Neues also ? Doch, denn dieser fotografische Focus auf Bekanntem langweilt nicht. So wie hier fotografiert ist er nicht nur neu, wird er doch auch durch abrundende Dazwischen-Blicke angenehm belebt: Auf regennasse Gassen, ein farbig-verschwimmendes Karussell auf einem Campo, ein leicht angerostet in den Nebel fahrendes Vaporetto, vor einer grauen Nebelwand blau im Bild liegende Gondeln. Und mehr noch, überall begegnet man sich auch, auf Treppen, Brücken, Märkten, in Cafes, Restaurants. In Akademien, Ateliers und Werkstätten zeigen sich Maler mit und ohne Modell, ein Drucker, der Buchhändler, Maskenschnitzer. Dieses herbstlich-winterliche Venedig lebt, es lebt sich selbst.

Für unseren Rückweg steigen wir in die blaue Gondel auf Seite 41 ein, aus der uns eine junge, lockenumflossene venezianische Schöne sphinxisch anlächelt. Alleine, auf dem Weg zum Carnevale? Sie scheint einem Renaissance-Gemälde entstiegen, Verkörperung des auch Spielerisch-Verführerischen dieser Stadt. Wir setzen uns zu ihr und laden sie ein, jene Stadt zusammen zu entdecken die mit diesem Fotoband vor uns liegt.

04.02.2014
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Venedig im Winter. Thiele, Johannes. Fotograf: Waasmann, Eckhard. 192 S. zahlr. fb. Abb. 28 x 28 cm. Gb. Thiele Verlag, Wien 2014. EUR 39,00. CHF 51,90
ISBN 978-3-85179-183-9
 
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