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Mit einem Mann möcht ich nicht tauschen

Mit „Kunst“ hat dieses Buch recht wenig zu tun, auch wenn die Protagonistin in einem Haushalt aufwuchs, in dem die große Kunst zuhause war. Sowohl die Sprache als auch die Geisteshaltung der Autorin lässt den Leser in eine scheinbar heile Welt des 20. Jahrhunderts eintauchen. In eine Zeit von großer Schuld und mit Millionen Toten.
Marie Bode wurde in eine äußerst anregende kulturelle Atmosphäre hineingeboren. Ihr Vater war Wilhelm von Bode, der Generaldirektor der Berliner Museen. Durch seine Vermittlung wurde sie 1907 als Lehrerin für Kunstgeschichte an den Kaiserhof berufen. 1915 heiratete sie Viktor Bruns, der als internationaler Richter beim Völkerbund in Den Haag und Begründer des Kaiser Wilhelm Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin tätig war.
In ihren Tagebüchern und Briefen entsteht trotz Krieg, Verfolgung und Armut in Deutschland das Bild einer zwar kreativen und humorvollen, aber irgendwie auch verwöhnten Frau, die trotz der restriktiven Atmosphäre autoritär männlich geprägter Gesellschaften in erstaunlicher Weise emanzipatorisch dachte und wirkte. »Erobere die Festung! Wozu sind wir Frauen emanzipiert?« lautet einer ihrer Wahlsprüche, der sie u.a. dazu ermuntert, ganz persönlich und für Frauen ungewöhnlich, öffentliche Führungen im väterlichen Museum durchzuführen.
Eingebunden in das gesellschaftliche Leben des Berliner Bildungsbürgertums, heute würde man sagen „Establishments“ zeichnet sie in ihren Schriften und einigen eigenhändigen Bildern ein Porträt der letzten Kaiserzeit bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs.
Maries Schwiegermutter war eine geborene Weizsäcker, drei Generationen dieser Familie treten in den Tagebüchern auf, worin zahlreiche Seiten aus den Zeiten des Nationalsozialismus, die vermutlich riskante Aussagen gegen das Nazi-Regime enthielten. Vermutlich wurden sie herausgerissen, denn es gab enge familiäre Kontakte u. a. zu Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, dem Bruder des Widerstandskämpfers und Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf zu Stauffenberg, zu Pastor Martin Niemöller, der anfangs dem Nationalsozialismus durchaus nahestand, jedoch später zum Widerstandskämpfer wurde und dem national-kritischen Kunsthistoriker Leopold Reidemeister. Den Hintergrund von Maries Schilderungen bilden aber weniger kritische Gedanken zum politischen Zeitgeschehen oder den Familienfreunden, sondern eher das an Freundschaften und Festivitäten reiche Leben ihrer eigenen Familie.
Ihre Tagebücher sind darüber hinaus mit eigenhändigen Aquarellen und Zeichnungen illustriert sowie mit zeitgenössischen Postkarten und Fotografien.

Ein Buch für lange Abende und trübe Tage über eine ungewöhnliche Zeit, die von zwei Weltkriegen beherrscht wurde, aber in den Schilderungen Marie Bodes irgendwie recht luxuriös und scheinbar wenig gefährdet daherkommt.

18.12.2018

Gabriele Klempert
Mit einem Mann möcht ich nicht tauschen. Ein Zeitgemälde in Tagebüchern und Briefen der Marie Bruns-Bode (1885-1952). Hrsg.: Noltenius, Rainer. 327 S. 62 z. T. fb. Abb. 21 x 15 cm. Gb. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2018. EUR 29,00 CHF 35,70
ISBN 978-3-7861-2799-4   [Gebr. Mann Verlag]
 
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