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Heute, heute, nur nicht morgen

Morgen, morgen…

Ach, wie gerne schiebt man doch die unangenehmen Dinge auf… Und wer mag es schon, über den eigenen Tod nachzudenken? Wenn man Nachkommen hat, macht man sich vielleicht Gedanken, einigermaßen geordnete Verhältnisse zu hinterlassen. Wenn man keine hat, macht man sich vielleicht Sorgen, was überhaupt aus den Überbleibseln der eigenen Existenz wohl werden mag. Da geht es Künstlern wie allen Menschen. Nur dass Künstler gemeinhin im Laufe ihres Lebens ein Werk geschaffen haben und kaum einer bereit ist, als letzte Handlung, alles in Brand zu stecken. Und wer dies seinen Nachkommen als letzten Willen aufbürdet, der hofft vielleicht doch insgeheim, dass sie es nicht tun. Thomas Mann ist da ein typisches Beispiel mit seinen Tagebüchern.
Das Nachdenken über die Hinterlassenschaft kann schon bei den Lebenden zu einer argen Bürde werden. In Künstlerkreisen hat dies in den letzten Jahren dazu geführt, sich doch gezielt mit diesem unangenehmen Thema auseinanderzusetzen. Die mit Bundesmitteln gegründete Standesvertretung „Stiftung Kunstfonds“, die unter anderem durch die „Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst“ regelmäßige Zuschüsse bekommt, ist vor allem dank ihres Künstlermitglieds Frank Zeidler einer der Vorreiter bei diesem Thema und von ihr wurde auch das vorliegende Büchlein mit herausgegeben. Zeidlers Anliegen ist es seit längerem, seine Kollegenschaft für die Fragen der Hinterlassenschaft zu sensibilisieren. Will ich ein Werkverzeichnis und wenn ja, wie lege ich es an? Wie ordne ich die Sachen physisch und wie ist es um das Lager bestellt? Wer wird die Miete zahlen oder die das Archiv einmal verwalten? In welcher rechtlichen Form möchte ich meine Dinge hinterlassen? Als Stiftung zum Beispiel? Das hört sich bürokratisch an und ist es zum Teil auch, aber es hat eben auch etwas damit zu tun, wie ein Werk in späteren Zeiten einmal zur Verfügung stehen wird und wie es rezipiert werden kann.
Früher blieb übrig, was in Museen gelangte und dort gepflegt oder von Sammlerfamilien gehütet wurde, die es dann doch eines Tages einem Museum übergeben haben. Da ging viel verloren und es wurden aus heutiger Sicht die falschen Akzente gesetzt, wenn man in die Depots der Museen blickt – einmal blicken darf. Andererseits werden zukünftige Generationen diese Akzente vielleicht wieder anders bewerten. Sind die Museen heute nicht überfordert, über ganze Nachlässe zu entscheiden, wie es in einem der einleitenden Essays heißt? Langer Rede kurzer Sinn: Man ist bei diesem Thema auch mitten in den Fragen des – zeitgebundenen – Geschmacks und derjenigen Akteure, die über diesen Geschmack entscheiden. Künstler*innen von heute – vielleicht nicht alle, aber doch viele – möchten darüber nicht nur ihnen Fremde entscheiden lassen und aus dieser Überlegung heraus sind inzwischen eine Reihe von Archiven entstanden, in denen Künstlernachlässe gesammelt und betreut werden. Neben privatwirtschaftlichen ist ein bedeutendes das einer Stiftung des Kunstfonds selbst. Es steht jedoch schon nach wenigen Jahren vor dem Problem, dass man auch nicht „alles und jeden“ aufnehmen kann.
Was kann also jede*r einzelne Künstler*in für sich entscheiden, wie es einmal mit der Hinterlassenschaft weitergehen wird, was wäre das Modell eines idealen Archivs und wer legitimiert das zukünftige Kunsterbe? Diese Fragen stellte Bogomir Ecker (*1950), Mitglied der Berliner Akademie der Künste, die seit Jahrhunderten Künstlernachlässe sammelt und an dem Band beteiligt ist. Als einer der Kritiker der Jury der Archivstiftung des Kunstfonds wurde beauftragt, Stimmen zu sammeln, um sich den Problemen, wer bewahrt was wo auf, einmal von Seiten der Produzent*innen zu stellen. Das Buch ist auch ein Dokument der Covid-19-Ära. Statt dass Ecker durch die Ateliers der zu Befragenden reiste, traf man sich vorbereitend in zeittypischen Online-Konferenzen, wie Abbildungen dokumentieren. Die Ergebnisse sammelte man aus der Distanz, wo man früher vielleicht zu einem Workshop zusammengekommen wäre. Entstanden ist daraus eine kurzweilige Sammlung von Statements von Künstler*innen, die in den unterschiedlichsten Techniken und Medien arbeiten. Sie können aus mehreren Zeichnungen, aus Werkdokumentationen oder eigenen Texten bestehen. So bietet das Buch eine Momentaufnahme und mit den einleitenden Essays eine gute erste Orientierung zu diesem grundlegenden Thema. Es wird eines Tages seinerseits ein Dokument sein, wie man am Beginn der 2020er Jahre über die Fragen, was von der Kunst übrig bleiben kann und soll, gedacht hat. Und schön gestaltet ist das handliche Buch auch.

05.08.2023
Andreas Strobl
„Heute, heute, nur nicht morgen…Wer bestimmt unser Kunsterbe?“ . Hrsg. SALON VERLAG & EDITION und Stiftung Kunstfonds in Kooperation mit der Akademie der Künste Berlin, Köln 2021. Beitr.: Lingl, Karin, Ecker, Bogomir, Söntgen, Beate, Kudielka, Robert, Gerz, Jochen. Zeidler, Frank Michael, Grosse, Katharina, Melhus, Bjørn, 120 S. 56 meist fb. Abb. 20 x 14 cm. Gb. Salon Verlag, Köln 2021. Gb. EUR 28,00
ISBN 978-3-89770-557-9   [Salon Verlag]
 
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