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Buchkunst und Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert

Meist am Rand von Feuilletons großer Zeitungen und Zeitschriften kommt Buchkunst dann und wann, eher selten, vor. Nur wenige Buchhandlungen pflegen eine Sparte von Handpres-sendrucken, in denen häufig Buchkunst zu bewundern ist. In einigen Galerien kann man auch fündig werden. Im Gegensatz dazu steht der Trend, möglichst viele Bilder auf Buchumschlägen zu präsentieren, mit Buchkunst hat das aber wenig zu tun. Bezeichnenderweise fand das Buchquartett von Lothar Lang, Werke des Impressionismus, Expressionismus, Konstruktivismus und Surrealismus in ihren buchkünstlerischen Aspekten zu präsentieren, so wenig Käufer, dass die schönen Bücher dort landeten, wo ihnen der Geschmack des überaus Billigen anhaftet, im modernen Antiquariat, den Buchhändler gern als "Ramsch" bezeichnen. Lothar Lang ist ausgewiesener Kenner der Buchkunst. Er bewegt sich damit interdisziplinär zwischen Literatur- Kunst- und Buchgeschichte. Darüber schrieb er viel und häufig an entlegener Stelle. Außerordentlich erfreulich daher, gesammelte Werke von Lang in einer Publikation zugänglich zu machen. Der Titel "Buchkunst und Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert" ist, wie auch der Untertitel "Graphik, Illustration, Malerbuch" recht allgemein gehalten, muss er auch, denn Lang ist auf den drei Feldern Text, im wesentlichen belletristische Werke, Bild (Illustration oder selbständiges Kunstwerk) und Buchgestaltung unterwegs. Überaus erfreulich, die sonst vorherrschende Arbeitsteilung, Kunst- und Literaturgeschichte und Buchwissenschaft, führt Lang zusammen, da, daran läßt er keinen Zweifel, das Buch für ihn ein "Gesamtkunstwerk" darstellt.

Die Kunstgeschichte hat dieses Feld bislang wenig bearbeitet, gelegentlich äußern sich Literaturwissenschaftler zu diesen Fragen, die Buchwissenschaft wäre eine Disziplin, die hier integrierend wirken könnte. Gäbe es einen zu besetzenden Lehrstuhl zur Erforschung dieser Dreier-Beziehung, Lothar Lang wäre der erste Anwärter auf diese Stelle. Aber auch Eduard Isphording, Kunsthistoriker und viele Jahre Bibliothekar im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, käme in Betracht. Er hat vor einigen Jahren ein Buch, "Seiten-Ansichten. Buchkunst aus deutschen Handpressen und Verlagen seit 1945" herausgegeben.

Text-Bild-Buch, den Trippelschritt im Beziehungsgeflecht, leitet Lang mit zwei längeren Texten ein, die Definitionskriterien induktiv entwickeln, ohne selbst abschließend eine solche vorzulegen. Im Malerbuch (Livre des peintres / Livre d'artiste) dominiert das Bild im Verhältnis zum Text. Es zeichnet sich dadurch aus, so Lang, dass, im "Vergleich zur konventionellen Illustration.....das Bildhafte emanzipiert ist,.....der Maler ist mithin der eigentliche Schöpfer des Buches, wenngleich es des öfteren aus dem kreativen Miteinander von Maler und Dichter erarbeitet wird." Kurz und knapp, einige Seiten weiter, "beim Malerbuch ist...das Bild" primär. Im Verhältnis zum Malerbuch, stehen beim "Künstlerbuch" "Bild und Text" nebeneinander."

Lang mäandert im Thema Buchkunst und Kunstgeschichte. Während der erste Text eine Abgrenzung von Künstler- und Malerbuch versucht, packt er das Thema im zweiten Text von der kunsthistorischen Seite an. Bei allen Bemühungen von dieser Seite, eine "kunsthistorische Bewertung" stehe noch aus. So werden immer wieder Malerbücher, die primär als Kunstobjekte wahrgenommen werden, auch ausgestellt, kaum in den Blick jedoch kommt das Buch als Verlagsprodukt für den Alltagsleser und deren Illustratoren. Hier haben wir es mit zwei qualitativ unterschiedlichen Gruppen von Illustratoren zu tun. Größen wie Otto Speckter oder Karl Walser, aber die meisten seien eher "solide handwerklich-graphische Arbeiten" ohne höheren künstlerischen Anspruch. Dies sei häufig der Grund, dass viele dieser Arbeiten nur "ausnahmsweise" Eingang in die kunsthistorische Forschung fänden und wenn das geschieht, dann mit Verspätung. Einen Grund sieht Lang in dem häufig zu beobachtenden "Konservatismus" vieler Verleger, die z.B. erst expressionistische Illustrationen zu drucken wagten, als dieser Stil bereits Geschichte war. Andererseits gäbe es aber auch durchaus Illustratoren wie etwa Oskar Kokoschka, die mit ihren Illustrationen auch "kunsthistorische Prozesse" einleiteten. Eine dritte Gruppe interessiert Lang auch, Bebilderungen von literarischen Texten, die "nahe am literarischen Text bleiben, aber ikonographisch und stilmorphologisch etwas bieten, was dem Wort so nicht möglich ist." So ein Fall wäre Max Beckmanns "Apokalypse".

Neben diesen eher systematisch argumentierenden Texten, unternimmt Lang Ausflüge und legt eine Reihe von Einzelstudien vor. Er entwirft dabei ein Panorama der Illustrationskunst und flicht immer wieder analytische Überlegungen ein. Das Spektrum reicht von den Größen Georges Braque, Pablo Picasso, Oskar Kokoschka, Eduardo Chillida oder Ernst Ludwig Kirchner, Künstlern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Texte der Weltliteratur illustrierten über Max Ernst, hier liegt ein anderer Fall vor, er entwarf, als einer der vielen Doppelbegabungen, zu eigenen Texten Bilder, bis zum Typographen Klaus Detjen. Hier liegt wieder ein anderer Zuschnitt zugrunde. Detjen, der das typographisch ausgefeilte Buch des Schriftstellers Stéphane Mallarmé Un coup de dés jamais n'abolira le hasard (Ein Würfelwurf niemals tilgt den Zufall) graphisch-typographisch neu interpretierte.

Im Kapitel zu Josef Hegenbarths Illustrationskunst zeigt Lang nochmals deutlich, wie wichtig Verleger, so Reclam, mit dem Mut zur Großtat sind und er zeigt, Illustration kann, wie bei Hegenbarth, primär geistige Auseinandersetzung mit dem Text und weniger Bildzugabe oder gar Bildschmuck, sein.

Geographisch, das ist überaus erfreulich, greift Lang nach Mittel- und Osteuropa aus und präsentiert im Westen weitgehend unbekannte Künstler. Aus der DDR kommen so namhafte und inzwischen immer mehr beachtete Künstler wie Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus oder Horst Hussel, der Tscheche Josef Lada wurde mit seinen kongenialen Zeichnungen zum "Soldat Schweik" bekannt, aber Künstler um den 1920 gegründeten Künstlerbund "Devĕtsil", die enge Beziehungen zu französischen Schriftstellern unterhielten, bringen eine neue Note ins Spiel. Um ihre ästhetische Plattform, dem "Poetismus", scharten sich Künstler wie Josef Å ima, Jindřich Å tyrsky, Karel Teige, Toyen und Vojtĕch Preissig. Zeitlich greift Lang auch weit aus. Er hat natürlich Klassiker aus der Gegenwartskunst, wie Günter Grass oder Joseph Beuys dabei, erfreulich, er erinnert an Größen wie Heinrich Ehmsen (1886-1994) oder Bruno Paul (1874-1968) oder umgekehrt – im Kapitel über aktuelle Tendenzen – möchte er Künstler wie Gerd Sonntag, Mark Lammert oder Andreas Dress bekannt machen. Eine neue Künstlergeneration ist dabei, mit neuen Materialien wie Glas oder Marmor dieses Feld neu zu definieren. Ganz im Trend der Zeit, sie setzen auf Grenzüberschreitungen. Das Buch, die Illustration wird zur Skulptur oder läßt sich als Objektkunst fassen.

Noch mal zum Schluß: Verlag und Verleger. Auf deren Vermittlungsleistung von Kunst und Künstler kommt Lang immer wieder zu sprechen und stellt, wie mit Reclam, Faber & Faber oder der Edition Tiessen, einige dieser engagierten Verlagshäuser, ebenso wie das Zentrum einer neuen Bibliophilie, Leipzig, vor.

Lang war ungemein produktiv und hat für diese Buch- und Kunstgattung enorm viel geleistet. Obwohl die Texte keinen systematisierenden Anspruch erheben, eine kleine Typologie der verschiedenen Formen von Buchillustration ließe sich erstellen. Für Kunsthistoriker und Buch- und Literaturwissenschaftler, Antiquare und Galeristen, für sie ist dieses Buch primär geschrieben, aber auch für interessierte Laien. Verständlich, mit Freude am Gegenstand, Lang zeigt eine Vielfalt der Kunststile und der Begegnung von Text, Bild und Buch und verfährt, jenseits seiner sicher vorhandener eigenen Stilpräferenzen, sachlich. Nicht zuletzt sind auch, wie mit Hermann Glöckner, Entdeckungen zu machen. Der Verlag Hiersemann hat, so wie es sich für so ein Werk gehört, sorgfältig gedruckt, besonderes Papier ausgewählt und einen umfänglichen Apparat angefügt. 27.6.2006

Sigrid Gaisreiter
Lang, Lothar: Buchkunst und Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Graphik, Illustration, Malerbuch. 2005. VIII, 339 S., 64 sw. u. 36 fb. Abb., 24 x 17 cm. Gb. Hiersemann, Stuttgart 2005 EUR 198,00
ISBN 3-7772-0510-9
 
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