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Erlebnisraum Erde – Helmut Dirnaichners Künstlerbücher

Es gibt Künstler, deren Bedeutung in einem umgekehrten Verhältnis zur allgemeinen Bekanntheit steht. Ein solcher ist Helmut Dirnaichner (*1942), der u.a. bei Günter Fruhtrunk studierte und seit vielen Jahren in München, Mailand und Apulien arbeitet. Gelegenheit, dem Werk Dirnaichners zu begegnen gab es reichlich in Privatgalerien, die wichtigsten darunter vielleicht Wittenbrink in München, mueller-roth in Stuttgart und in Museen, so 2002 in der Pfalzgalerie in Kaiserslautern, die Künstlerbücher unter dem Titel „ante mare et terras“ (5.5.-23.6.2002) im Verein mit der Biblioteca Trivulziana (Mailand), der Bibliteca Berio (Genua), der Bayerischen Landesbibliothek (München) und dem Institut für moderne Kunst (Nürnberg) zeigte und in einem Katalog dokumentiert wurde.

Dem Katalog wurde ein Zitat aus Ovids „Metamorphosen“ vorangestellt, das auf den Entstehungsprozess der Künstlerbücher, die Dirnaichner seit 1979 fertigt, als auch auf den Schöpfungsmythos, verweist. Zunächst, von 1979 bis 1981, stellte Dirnaichner Künstlerbücher in Farbstift- Bleistift- und Kreidezeichnung sowie in den alten Drucktechniken Aquatinta, Holzschnitt und Kaltnadel auf Bütten und in Aquarell her. Da der Katalog chronologisch strukturiert ist, kann man die Entwicklung Dirnaichners sehr gut nachvollziehen. Der Katalog beginnt mit einer Eloge von Britta E. Buhlmann auf ein inzwischen unter e-Vorbehalt gestelltes altes Medium, dem gebundenen Buch mit Papierseiten, mit dem sich auch der zweite Beiträger, Antonio Prete, auseinandersetzt. In einem schönen Satz fasst Prete dann zusammen, worum es in den vielen Künstlerbüchern des Künstlers geht: „An der Grenze und auch am Incipit (=hier beginnt, S.G.) von Helmut Dirnaichners Buch steht die Natur.“ Nicht nur widmet sich Dirnaichner in seiner Kunst der Erforschung der Naturmaterialien, sondern seine Künstlerbücher bestehen auch aus solchen: aus handgeschöpften Papieren und seit 1982 malt der Künstler mit natürlichen Pigmenten. Bis 1995 kommt Dirnaichners Buch der Natur ohne Texte aus und als sein Buch auch Wort wurde , griff er zum Bleisatz. Sehr schön an diesem Dirnaichner-Kompendium ist, dass der Künstler auch gezeigt wird, wie er der Natur deren Schätze abringt, die viele Metamorphosen durchlaufen, ehe sie sich in einem seiner Werke neu materialisiert wiederfinden, ganz Ovid verpflichtet: „Ehe es Meer, Land und den Himmel gab, der alles umschließt, hatte die ganze Natur ringsum einerlei Aussehen.“

Im Laufe dieses Buches wird in Text und Bild die elementare, zeichenhafte Malerei Dirnaichners in Text und Bild vorgestellt: Kreis, Quadrat, Recht- und Dreieck, Linie, Spirale, Oval, Raute, Sichel, Naturformen. Die Titel der Werke sind mal spröde gehalten: „Terra“ (Erde, S.G.) „ Sumpf und Steine“, „Felder“, „Schwarz“ oder poetisch: „Dazwischen liegt das Blau der Meere“, „Aquamarin, das versteinerte Meer“ (1996) oder „Die Farben aus Materie“ (1998).

Materialität und Räumlich- und Zeitlichkeit bestimmen dieses Werk. So bestehen die seit 1990 entstandenen und mit „Selce“ betitelten Künstlerbücher aus zerriebenen Flusskieseln und verweisen auf Zeit, Naturzeit, in der die Kiesel einer Formveränderung unterworfen sind. Ein neues Kapitel schlägt Dirnaichner mit dem Zyklus „Erinnerung Erde“ auf, Erinnerung in doppeltem Sinn, an einen Arbeitsaufenthalt im Braunkohlegebiet Niederlausitz und an die Geschichte einer sich zu Ende neigenden Epoche. Konserviert und katalogisiert als ein Kapitel im großen Buch der Natur-Neuschöpfung, die häufig mit dem Prinzip der doppelten Reihung arbeitet. In den Leporello-Büchern der Jahre 1991 bis 1994 fächert Dirnaichner Farbnuancen in und mit jedem Leporello auf. Auf die Farben Schwarz, folgen Blau, Grün, Weiß und Rot und im Buch, dem Codice „azzurro“ von 1992 trifft Lapislazuli auf Kobalt auf Azurit, im Codice „nero“ Stein- auf Holzkohle und Basalt, Marmor und Granit.

In „ante mare et terras“ sprechen jedoch nicht nur die Beiträger, die den einzelnen Zyklen Dirnaichners, dessen ästhetischer und ideeller Prägung oder persönlichen Begegnungen, Erlebnissen gelten, sondern auch Dirnaichner selbst. Bündiger als alle Sekundärtexte, sagt der Künstler von seiner Kunst: „Farbe allein ist zu wenig. Bei mir ist es Materie im weitesten Sinn, die ich verwende. Jedes Bild hat den Inhalt der Materie.“ Am Ende dieser Sammlung der unterschiedlichen Erlebnisräume Natur, so besuchte Dirnaichner u.a. Mexiko, versammelt Annette Reich die Künstlerbücher und Editionen der Jahre 1979 bis 2001 in einem Werkverzeichnis. Ein umfänglicher Apparat enthält u.a. auch eine Kurzbiographie und ein Ausstellungs- und Literaturverzeichnis. Auf einer Farbfotografie schaut der Künstler um die Ecke, dessen Hand beim Arbeiten mit der Natur auf dem Umschlag zu sehen ist.

Dirnaichners Kunst, seine Konzentration auf die Schönheit von Farben, Formen, Materialien der Natur, erzählt viele Geschichten und dazu braucht es Zeit, viel Zeit. Die nahm sich auch der Verlag Moderne Kunst und legte mit diesem Buch zu den Büchern Dirnaichners zugleich eine Hymne an das auf Papier gedruckte Buch vor, denn nur auf Papier wird sinnlich die Materialität handgeschöpfter Papiere ebenso erfahrbar wie in den Bleisätzen sich Buchstaben im wörtlichen Sinn einprägen. Dies Buch, die Buchstaben, die Texte, die Bücher Dirnaichners: ein Lichtblick, dem ein solcher mit „Erde Stein Papier“ 2007 folgte.

Helmut Dirnaichner (2001) Ante mare et terras. Künstlerbücher 1979 – 2001. geb., 232 S., 137 farbige und 7 s/w Abb., 31 x 24,5 cm, 1200 Exemplare. Übersetzungen: Matthias Bleyl, Christine Dirnaichner, Marina Buttarelli, David Stanton. Michael Foster. Steven Lindberg. Mit Texten von Ulrich Montag, Britta E. Buhlmann, Antonio Prete, Francesco Radino, Annette Meyer zu Eissen, Béatrice Hernad, Elmar Hertrich, Susanne Thesing, Matthias Bleyl, Adriana Augusti, Helmut und Christine Dirnaichner, Kajo Niggestich, Annette Reich. Verlag Moderne Kunst, Nürnberg. ISBN: 978-3-933096-46-3. € 48,00
27.2.2009
Sigrid Gaisreiter
Helmut Dirnaichner: Erde, Stein, Papier. Beitr.: Christof Engelhorn, Helmut Dirnaichner: 96 S., 39 fb. und 4 sw Abb., Gb., Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2007. EUR 24,00
ISBN 978-3-939738-86-2
 
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